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Fleischerei Koreng feiert Jubiläum

Eine Fleicherei schreibt Geschichte

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, sagt man seit Gorbatschow 1989. Nun wollen wir den politischen Kontext des Satzes nicht bagatellisieren, aber was ist mit dem, der zu früh dran ist? Er vergeudet entweder kostbare Zeit oder aber – wie in unserem Fall – er lernt Menschen kennen, deren Geschichte spannend genug für eine Garçon­-Story ist.

Folgendes war geschehen: Eine Interview­ Verabredung in Lübbenau, ein viel zu früher Zug – zwischen Ankunft in der Spreewald­stadt und vereinbartem Gesprächstermin lagen noch gut zwei Stunden. Auf dem Bahnhofsvorplatz ein einsames Taxi, des­sen Fahrer dem Wunsch nach einer Stadtrundfahrt mit Geschäftssinn und Aus­kunftsfreude entsprach. Spreewaldmuseum, Spreewaldhafen, Spreewaldbahn, der gu­te Mann kannte sich aus. Die Frage nach kulinarisch Bemerkenswertem allerdings brachte ihn aus dem Takt.

„Alle Restaurants und Cafés sind ge­schlossen, die Inzidenz liegt bei 160“, sagte er, überlegte und hatte plötzlich eine Idee: „Die älteste Fleischerei weit und breit, interessiert Sie das?“ Und ob. So kam es, dass wir Mitte April 2021 Sylvia Koreng und ihre Familie kennenlernten. Die 40­-Jährige ist Fleischermeisterin in fünfter Generation und Inhaberin eines Handwerksbetriebes, der seit 140 Jahren in Familienbesitz ist.

Sylvia Koreng ist stolz auf so viel Tradition. Im Laden hängen die Meisterbriefe von fünf Koreng­-Generationen, es gibt eine Familien­chronik, und einige Ponderabilien früherer Fleischerarbeit stehen sogar im Lübbenauer Museum.

Die Geschichte des Familienbetriebes

„Gründer des Betriebes war mein Ururgroßvater August Wilhelm Koreng, im gleichen Haus, Anfang Mai 1881“, erzählt Sylvia Koreng, „ihm folgten 1910 mein Urgroßvater Karl Richard Koreng und 1945 mein Großvater Oskar Wilhelm Koreng. Weil der einem Dolmetscher der Sowjetarmee bei dessen Flucht in die Berliner Westsektoren half, wurde er 1948 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, in die Sowjet­union deportiert, nach fünf Jahren Straflager aber wieder entlassen.“

Sylvia Koreng, Jahrgang 1981, kennt diese Geschichten nur aus Erzählungen. „Auch was dann folgte, die Verstaatlichung des Betriebes 1952, die Zeit als HO­-Fleischerei, die Probleme mit der DDR­-Zuteilungs­wirtschaft, weiß ich natürlich nur vom Hörensagen. Wenn Sie darüber mehr erfahren wollen, müssen Sie meinen Vater fragen.“

 

Der, Friedrich Wilhelm Koreng, Fleischermeister und Ingenieur für Fleischverarbeitung, wurde 1977 Betriebsteilleiter im eigenen Haus und arbeitete bis 1990 unter Aufsicht staatlicher Stellen. „Sogar die Rezepturen wurden vorgegeben“, erinnert er sich, „wir bekamen zeit­weise im Monat nur fünf Kilogramm Majoran, mehr gab’s nicht.“

1990 reprivatisierte Friedrich Wilhelm Koreng die Traditions­ fleischerei, der alte Schriftzug kam wieder über das Schaufenster. „Aber das war nur eine Äußerlichkeit“, so Altmeister Koreng, „die Un­sicherheit der Behörden, der Investitionsstau, alte Maschinen, fehlende Computer“, das waren die wirklichen Probleme, die uns schlaflose Nächte bereiteten. Hätten wir keine Hilfe aus dem Westen bekommen, etwa von den Inhabern des Fleischreibedarf­-Großhandels Josef Schwan in Heilbronn, wir hätten es wahrscheinlich nicht geschafft.“

Nach einem Intermezzo ihres Bruders Andreas als Mit­ Inhaber an der Seite seines Vaters – Andreas Koreng zog 2011 dann nach Dresden – übernahm Anfang Januar 2012 Sylvia Koreng die Fleischerei.

Glückliche Fügung: Sven Wieder, der Mann an Ihrer Seite, ist ebenfalls Fleischermeister. „Wir haben uns 2008 auf der Meisterschule in Cottbus kennengelernt“, so Sylvia Koreng, die zuvor im elterlichen Betrieb Fleischfachverkäuferin gelernt hatte, ein Jahr lang in Amerika unter­wegs war und sich an der Hochschule Wildau an einem BWL­-Studium versuchte. „Das war mir aber zu dröge“ sagt sie, „also bin ich zurück nach Lübbenau und konnte mit einer Ausnahmeregelung der Hand­werkskammer die Meisterschule absolvieren.“

Sven Wieder, 44, ist Brandenburger (Sylvia Koreng: „Das hat ge­ passt.“) und stammt ebenfalls aus einer Fleischerdynastie („Das erst recht.“). Er lädt uns zum Wurstmachen ein, drei Uhr morgens, Lübbenau. Wir einigen uns schließlich auf vier Uhr und tatsächlich – als wir ankommen, ist der Zwei­-Meter­-Mann mit den wachen Augen schon ziemlich lange mit seinen wurstigen Spezialitäten beschäftigt.

Die Nummer eins in den Spreewald­-Charts ist zweifellos die Grütz­wurst. „Es gibt sie sowohl frisch als auch kaltgeräuchert“, erklärt der Meister, „und das Format ist ebenfalls verschieden – dick, um Scheiben zum Braten abzuschneiden oder dünn zum Warmmachen oder Kaltessen.“

Schweineblut, Schweineschwarten, Gerstengrütze, reichlich Thüringer Majoran, ein Hauch Spreewälder Thymian (auf die Her­kunft der Kräuter legt Wieder besonderen Wert) und eine hauseigene Würzmischung, in der Pfeffer und Piment die Hauptrollen spielen, das sind die Zutaten des regionalen Kultproduktes. Die Frische ist ihr wichtigstes Qualitätsmerkmal. „Seit August Wilhelm Koreng, dem Urur­ großvater meiner Frau, hat sich daran nichts geändert“, so Sven Wieder.

Auswahl in der Ladentheke

Auch seine Leberwurst fertigt der Fleischermeister nach einem Traditionsrezept von 1881. Dazu kommen neue, eigene Kreationen – beispielsweise die Gurkenbockwurst mit gewürfelter Gewürzgurke oder die Meerrettichknacker mit zwölf Prozent frisch geriebenem Meer­rettich, auch Lamm­ und Rindsbratwürste sowie Coppa und Pastrami hat er schon gemacht. „Am Ball bleiben“, nennt der Meister das.

„Eine Wurst soll von Umglänztheit blitzen; die Haut muss das Fleisch stramm umsitzen.“ Das Zitat stammt von Martin Walser und es passt perfekt zu den Korengschen Offerten in der Ladentheke.

Dazu gibt es ein kleines, spreewaldtypisches Feinkostangebot, einen täglich frisch gekochten Mittagstisch und jede Menge Service: den Party­ und Lieferservice, einen deutschlandweiten Wurstversand und neuerdings sogar zwei Wurstautomaten auf Campingplätzen in Lübben und Lübbenau. „Sie müssen sich diese Dinger wie große Kühlschränke mit vielen Fächern vorstellen, die wir mit vakuumierten Bock­ oder Bratwürsten bestücken“, so Sylvia Koreng, „die sich aber nur lohnen, wenn auch die Touristen kommen.“ „Und im letzten Jahr war da eher Ebbe“, fügt Sven Wieder hinzu.

Beste Fleischerei in Brandenburg

Möglicherweise auch deshalb reagieren die beiden Fleischermeister ziemlich zurückhaltend, wenn es um die Zukunft ihres Betriebes geht, der 2014 im FEINSCHMECKER­-Ranking „Die besten Metzger Deutsch­lands“ immerhin Landessieger in Brandenburg wurde.

Doch solcher Ruhm hält eben nicht ewig. „Früher hatte Lübbenau sage und schreibe mal sieben Fleischereien“, resümiert Sylvia Koreng, „inzwischen sind wir der letzte noch selbst produzierende Betrieb. Dafür gibt es sechs Supermärkte, mit deren industrieller Massen­ ware wir preislich natürlich nicht mithalten können, obwohl wir schon knapp kalkulieren.“

Und so weiß die Inhaberin der Traditionsfleischerei heute auch noch nicht, was sie ihren beiden Söhnen – Adrian ist sechs, Tristan anderthalb – einmal raten wird, wenn es um deren Berufswahl geht…

In präpandemischer Zeit galt „Normalität“ als verpönt, unsere distinktionssüchtige Gesellschaft forderte permanent die Abkehr vom Gewohnten. Doch dann kam Corona und aus der faden Spießer­vokabel wurde ein ultimatives Sehnsuchtswort. „Das Virus macht normales Verhalten zu einem Risiko“, formulierte Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache 2021. Die Menschen wünschten sich ein „gutes normales Jahr“, und die meistgestellte Frage dieser Zeit lautet: Wann wird endlich wieder alles normal?

Zum Jahrestag kam sogar der Bürgermeister

Auch Sylvia Koreng bedient sich in diesem Baukasten. „Normaler­weise“, sinniert sie, „hätten wir ein Hoffest gefeiert, eine Jubiläumsparty mit Freunden, Kunden, Nachbarn und Kollegen.“

Doch was ist schon normal an diesem 3. Mai 2021? „140 Jahre Koreng. Ein Jubiläum, aber leider keine Feier“, schreibt die Fleischermeisterin an ihre Schaufensterscheibe, bevor sie den Laden öffnet. Zwei offizielle Gratulanten kommen dennoch. „Das ist doch normal“, erklärt Lübbenaus Bürgermeister Helmut Wenzel.

 

Spreewaldfleischerei Koreng
Ehm-Welk-Straße 3
03222 Lübbenau / Spreewald
Tel. 03542 – 2715
www.spreewaldfleischerei.de

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