Marcus Fuhrmann – Knollensellerie und Gourmet

Von Marcus Fuhrmann

„Der Sellerie hat in der öffentlichen Wahrnehmung und Wertschätzung einen schweren Stand.“ Als Roland Tauber, Autor des im Wiener mandelbaum Verlag erschienen 60-Seite-Bändchens „Sellerie“ vor sieben Jahren diesen Satz zu Papier brachte, mag das wohl noch zugetroffen haben.

Inzwischen allerdings gehört das aromatische Wurzelgemüse längst zum Standard in vielen Profiküchen. Da begleitet es beispielsweise als feine Creme einen angerösteten und im Selleriesud gegarten Zander. Es wird zum glasierten Kalbsbries ebenso serviert wie zur Entenleberpraline und macht als Chip mit Muckefuckeis und Essigzwetschgen sogar als Dessert eine gute Figur.

Dass auch die ambitionierten Hobbyköche des Landes am Sellerie nicht mehr vorbeikommen, bewies stellvertretend die Berufsschullehrerin Nina Drenkelforth. Die 35-Jährige aus dem niedersächsischen Wünstorf servierte im Jahresfinale 2023 der ZDF-Küchenschlacht Sellerie-Birnen-Gyoza, Geschmorte Miso-Sellerieschale, Sellerie-Essenz und frittierte Selleriegrün – Juror Christoph Rüffer, zweifach besternter Hamburger Küchenchef, war voll des Lobes.

Auch eine Heilpflanze

Die lange Zeit als „Oma-Gemüse“verschrieene Knolle, deren wilde Ahnen (zunächst als Blattpflanzen) bereits im alten Ägypten und in den antiken Kulturen Griechenlands und Italiens vor allem als Heilpflanze Verwendung fanden, punktet mit einem hohen Gehalt an den Vitaminen B, C und A, an Natrium, Kalium, Magnesium und Eisen sowie an ätherischen Ölen. Die angeblich aphrodisierende Wirkung des Selleries konnte jedoch nie nachgewiesen werden.
Dennoch wurde sie häufig gewürdigt – etwa in Bertolt Brechts „Ballade, von der sexuellen Hörigkeit“ oder in jenem alten Berliner Schlager, der mein Vater häufig auf seiner Mundharmonika spielte: „Freu dich Fritzchen, freu dich Fritzchen, morgen gibt es Selleriesalat“. Kulinarisch gesehen avancierte der Knollensellerie – wie eingangs schon beschrieben – inzwischen von einer „vegetabilischen Großmacht des Suppentopfes“ zum „unterbewussten Geschmacksgeber für viele Gerichte“.

Vielseitige Rezepte

An dieser Stelle habe ich schon häufiger die Reihe „kleine gourmandisen“ aus dem Wiener Verlag mandelbaum gelobt. Die 60-seitigen Bände enthalten konzentrierte Notizen zu Obst- und Gemüsesorten sowie zu Gewürzen – von Avocado über Quitte bis Zimt – und jede Menge Rezepte, die geradezu vorbildlich dargeboten werden, schnörkellos und ohne kulinarisches Geschwätz.
Das gilt auch für die gourmandise Nº 16, in der sich Roland Tauber, Autor und selbst Verleger in Münster den Sellerie vornimmt. „Obgleich eine wohlschmeckende Zutat in Suppen, würde es an Diskriminierung grenzen, Sellerie als reine Suppenbeigabe abzukanzeln“, schreibt Tauber, „denn seine kulinarischen Möglichkeiten sind ungemein vielfältig, und sogar als Heilpflanze ist er seit Jahrtausenden bekannt.“
Besonders interessant finde ich das Kapitel über Sellerie-Getränke, die nicht nur zur Entschlackung des menschlichen Körpers, sondern auch der Haushaltskasse führen. Obwohl sie zumindest Letzteres sicher nicht nötig haben, schwören sogar Stars wie Robert De Niro und Pharrell Williams auf die Kraft aus dem (Sellerie)saft…

Knollensellerie als Bestandteil der Gourmetküche

Die Formulierung vom „Knollensellerie als unterbewusstem Geschmacksgeber“ stammt übrigens von Sebastian Frank, Küchenchef des Kreuzberger 2-Sterne-Restaurants Horváth. Der 42-jährige Niederösterreicher, der seit 2010 in Berlin am Herd steht, gehört zu den kreativsten Köchen der Hauptstadt, und er ist zweifelsohne deren „Selleriekönig“. „Im Horváth dient das Gemüse als Grundbaustein jeglicher Geschmackscharakteristik, rund achtzig Prozent aller Gerichte in unserem Restaurant beinhalten Sellerie in irgendeiner Form“, schreibt er beispielsweise in seinem kuk-Kochbuch.

An erster Stelle steht da sicher Franks Signatur dish „Sellerie reif und jung“. Dabei handelt es sich um eine im Salzteig gegarte und ein Jahr lang gereifte Sellerieknolle, die als Umami-Konzentrat über Scheiben vom jungen Sellerie gehobelt wird. Komplettiert wird die Kreation durch eine aufgeschäumte, mit gerösteter Selleriesaat aromatisierte und mit Suppenfett beträufelte Hühnersuppe. Die Idee dieses Gerichts, das junge Gemüse mit dem des Vorjahres zu würzen, funktioniert übrigens auch ohne Beipackzettel, gleichsam als kulinarische Alchemie und ergibt einen in sich durch und durch stimmigen Teller.
Weshalb nun ausgerechnet Knollensellerie und kein anderes Wurzelgemüse? Die Frage beantwortet der Sternekoch so: „Das Paradoxe am Knollensellerie ist, dass er geschmacklich leicht und feinsinnig genug ist, um sich mühelos einer anderen Aromastruktur unterzuordnen und dieser eine Tiefe oder sogar Verlängerung zu geben, aber gleichzeitig auch intensiv und so kompakt ist, dass er als Hauptprotagonist jeden Teller dominieren kann.“

www.restaurant-horvath.de

Eine tolle Knolle

Natürlich weiß auch Sternekoch Eberhard Lange, 56, Chef de cuisine im Interconti-Restaurant Hugos, um den hohen Glutaminsäuregehalt des Knollenselleries, der in erster Linie für das Umami-Geschmacksspektrum des gesunden Gemüses verantwortlich ist. Kein Wunder also, dass auch in der Hugos-Küche Sellerie in vielerlei Form eine wichtige Rolle spielt.

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„Es hat allerdings etliche Jahre gedauert, bis ich mit der Knolle wirklich etwas anfangen konnte“, lächelt der gebürtige Berliner. Als Kind war Sellerie nicht sein Ding, erst während seiner Kochlehre im Hotel Metropol änderte sich das. „Auch dort aber galt das Gemüse in erster Linie als Bestandteil der gutbürgerlichen, ländlichen Küche“ erinnert sich Eberhard Lange, „das in der Haute Cuisine nicht viel zu suchen hatte.“ Nach einigem Nachdenken fügt er hinzu: „Mir fällt eigentlich nur der damals allgegenwärtige Waldorfsalat ein, in dem Sellerie ein unverzichtbarer Bestandteil war.“Die Ansicht der meisten deutschen Spitzenköche, dass Sellerie am besten im Suppengrün aufgehoben sei und eigentlich nur als Röstgemüse für Saucen wirklich tauge, wandelte sich spätestens Ende der 1990er Jahre.
Eckart Witzigmann servierte seinen Gästen in München Rehmedaillons mit Selleriepüree, Seezunge mit gedünstetem Stauden- und Knollensellerie sowie panierte Sellerieschnitzel, begleitet von einer Joghurt-Schnittlauch-Sauce – und auch die junge Garde experimentierte heftig mit der tollen Knolle.


Eberhard Lange erlebte das, als er 1997 in Kolja Kleebergs VAU kam und – stärker noch – als er ein Jahr später als Souschef an die Seite von Thomas Kammeier ins Interconti wechselte. „Es war die Zeit, als Petersilienwurzel, Steckrübe und eben Knollensellerie auch in der gehobenen Küche zu Ehren kamen“, so Lange. Ein Trend, der anhielt. Aktuell im Hugos: gebeizte Bachforelle mit fermentiertem Sellerie und Meerrettich…

www.hugos-restaurant.com

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