Mecklenburger sind vorsichtige Menschen, auch beim Essen. Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich, hieß es früher. Die moderne Variante lautet: erst fragen, dann kosten. In Penzlin konnte besonders Marcus Sapion ein Lied davon singen.
Der Chef des Gasthofes Tenzo in Triepkendorf kochte in der restaurierten Burgküche über offenem Feuer vegetarisch: Zitronengrassuppe mit Haselnussgyoza. Geduldig musste der Zwei-Meter-Mann immer wieder erklären, was es mit den gefüllten japanischen Teigtaschen auf sich hat und weshalb er in einer Zeit, die das Regionale über alles hofiert, ein dermaßen exotisches Gericht präsentiert. Regionalküche sei für ihn kein Dogma – deshalb, so Sapion. Es hat aber wohl auch damit zu tun, dass der gebürtige Münsterländer einige Jahre Klosterkoch in Japan war, in Hamasaka, einer Stadt in der Präfektur Tottori im Westen der Hauptinsel Honshu. Dementsprechend auch der Name seines Restaurants: Tenzo, das ist die Bezeichnung für einen japanischen Klosterkoch.
Das Tenzo also, Gasthof in Triepkendorf, Alter Schulweg 2-4. Der 300-Seelen-Ort gehört zur Gemeinde Feldberger Seenlandschaft und liegt ein paar Kilometer hinter der Landesgrenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in einer der am dünnsten besiedelten Gegenden Europas.
Die Geschichte des Gasthofes Tenzo beginnt – genau genommen – in Berlin-Schöneberg, in der Martin-Luther-Straße 1. Hier eröffneten 1985 Mitglieder der buddhistischen Mumon-Kai-Gemeinschaft ein vegetarisches Restaurant, das erste in Berlin übrigens, das sie nach dem Zen-Meister Hakuin Ekaku (1686-1769) benannten. Katarina Hering gehörte von Anfang an zum Hakuin-Kollektiv, Marcus Sapion heuerte 1996 nach Stationen im Bamberger Reiter, Borchardt und Storch dort an und lernte seine spätere Partnerin kennen. Als das Hakuin 2005 schloss, ging Sapion nach Japan, wurde Klosterkoch in Hamasaka, einer Stadt in der Präfektur Okayama, direkt am Japanischen Meer gelegen. Er eignete sich die pedantische Perfektion seiner japanischen Kollegen selbst bei den einfachsten Arbeiten an und verstand, weshalb sie nicht zwischen vier, sondern zwischen zwölf oder gar noch mehr Jahreszeiten unterscheiden. „Die japanische Küche ist hypersaisonal, weil viele Produkte nicht einen ganzen Sommer lang auf ihrem geschmacklichen Höhepunkt sind, sondern häufig nur eine Woche, manche noch weniger“, erklärt er. Katarina Hering unterbricht, sie ahnt wohl, wohin dieses Gesprächsthema führt.
„Während Marcus in Japan war, entdeckte ich die ehemalige Triepkendorfer Schule. 2007 haben wir die Gebäude gekauft und zwei Jahre später, nach kompletter Sanierung, das Tenzo eröffnet.“ Entstanden ist ein kleines Juwel. Lehmverputzte Wände, Holz mit Patina, ein riesiger Lehmofen, ein paar stilvolle Möbel und Lampen, Tuschzeichnungen der Templiner Künstlerin Anja Baarmann – das einstige Klassenzimmer wirkt ebenso schlicht wie gemütlich und ist das komplette Gegenteil jener extra-coolen Minimalisten-Locations, die in Berlin oder Hamburg angesagt sind. Küchenmäßig fahren Katarina Hering und Marcus Sapion – sie ist für das Vegetarische zuständig, er für den Rest – zweigleisig. Einerseits servieren sie bodenständige Klassiker wie Bratwurst oder Schnitzel mit Bratkartoffeln, andererseits wird eine kontemporäre Kreativ-Küche aufgetischt, die ihre Produktbasis zwar in der wald- und seenreichen Region hat, gelegentliche Abstecher ins ferne Japan aber nicht scheut.
Dafür steht Sapions Hechtfilet im Japanese Style (Foto S. 54) ebenso wie seine in Pankomehl gebackenen Landhähnchen-Croquetas mit Algen, die mit Chinakohlgemüse, Ume-Sauerkraut und Sushi-Reis auf die Teller kommen. Wer sich für eins dieser Hauptgerichte entscheidet, sollte zuvor die Tenzo-Misosuppe mit Algen und Tofu ordern, es lohnt sich. Wer allerdings derartige kulinarische Ausflüge partout nicht machen will, kein Problem: Warmer Ziegenkäse mit fein süß-säuerlich austariertem Quittenmark, schonend gegartes Damwild mit Haselnuss-Kroketten und Spinat sowie als Dessert Maronenmousse mit Birne und Cranberries beweisen, dass es Markus Sapion auch ohne Kombu und Co. kann. Die Nähe zum Produkt und die intensiven Aromen überzeugen, das klare Erscheinungsbild der Gerichte tut ein Übriges. „Kochen kommt von innen“, erklärt der 50-Jährige, der sein Handwerk im Münsteraner Traditionsgasthaus „Pinkus Müller“ gelernt hat, „und es muss Spaß machen.“ Keine Freude bereiten ihm „verkopfte Teller“ und das stundenlange Schwadronieren darüber. Seine Partnerin Katarina Hering ergänzt: „Klarheit und Ganzheitlichkeit sind uns wichtig, es gibt in unserer Küche keine Haupt- und Nebensachen, alle Produkte sind Stars gleichermaßen.“ Das Ergebnis dieser Denke ist extrem schmackhaft und in höchstem Maße zugänglich.
Drei Anmerkungen sind noch nötig:
Erstens: Der Gasthof Tenzo bietet auch Quartier – drei Doppelzimmer und drei Ferienwohnungen, alle individuell ausgestattet.
Zweitens: Marcus Sapion und Katarina Hering laden regelmäßig zu japanischen Abenden ein – mit Menü und vielen Gesprächen.
Und drittens: Vom 7. Januar bis zum 22. März 2018 ist das Haus geschlossen.
Gasthof und Pension Tenzo
Alter Schulweg 2-4
17258 Feldberger Seenlandschaft
Tel. 039820 – 33 94 0
www.tenzo-gasthof.de