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Ein Kochbuch mit Illustrationen – ein Kulturgut

Ein Kochbuch mit Illustrationen wünschte sich die Chefredakteurin für unsere Nachlese-Kolumne in unserer neuen Garcon-Ausgabe. „Passend…

„Trotz Internet und Fernsehküche – Koch­bücher werden immer ein Kulturgut bleiben“, davon sind Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr überzeugt.
Die beiden Männer zogen im Januar 2010 aus dem Ruhrpott nach Berlin und betreiben seitdem in einem restaurierten Altbau-Souterrain in Berlin-Mitte, in der Nähe des Rosenthaler Platzes, Deutschlands vermutlich größtes, auf jeden Fall aber Berlins einziges Kochbuchantiquariat.

Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben, etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte Originale, handgeschriebene Unikate, kulinarische Enzyklopädien, Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher von Sophia Loren bis Vico Torriani, Kriegs- und Nachkriegskochbücher.
„Das Stöbern in diesem Fundus ist immer auch eine Art besonderer Geschichtsstunde“, sagen die Antiquare.
Nun stöbern Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr sozusagen auch öffentlich. Für Garcon blättern sie in Kochbüchern aus vergangenen Zeiten und notieren, was sie dabei bewegt.

Der heruntergekommene Lucull
Kochende Probleme von Karola Moll
Illustrationen von G. Woldemar Hörnig
J.P. Toth Verlag Hamburg
Hamburg 1947
63 Seiten
Preis (antiquarisch): 28,00 Euro

Ein Kochbuch mit Illustrationen wünschte sich die Chefredakteurin für unsere Nachlese-Kolumne in unserer neuen Garcon-Ausgabe. „Passend zum Titel des Heftes“, ließ sie uns ausrichten. Ein Kochbuch mit Illustrationen? Zuerst fiel uns Hans Haas ein, bis Ende 2020 noch Küchenchef im Münchner Tantris. Der große Meister am Herd ist nämlich auch ein begnadeter Maler und Zeichner, was die meisten seiner Kochbücher eindrucksvoll belegen – „Lust auf Genuss“ (1998) beispielsweise oder „Kulinarische Skizzen“ (2002).
Am Ende entschieden wir uns dann doch für das Bändchen „Der heruntergekommene Lucull“ – einfach weil es älter und seltener ist.

Ein schlichter Pappeinband, einfache Klebebindung und grobes Papier – das sind die äußeren Kennzeichen dieses 63-Seiten-Bandes.
Das Erscheinungsjahr erklärt die Aufmachung: 1947. Damit dürfte „Der heruntergekommene Lucull“ eines der ersten Kochbücher sein, die nach dem Krieg in Deutschland herausgegeben wurden.
Was kochten die vom Mangel traumatisierten Hausfrauen im zerbombten Deutschland – einem Land, in dem Lebensmittelkarten, Hamsterfahrten und Schwarzmarktkäufe an der Tagesordnung waren?

Bei uns zu Hause im Ruhrgebiet beispielsweise gab es folgenden Reim: „Deutschland, Deutschland ohne alles, ohne Butter, ohne Speck. Und das bisschen Marmelade frisst uns die Besatzung weg.“ Schmalhans war Küchenmeister in den meisten Haushalten, die Küche praktisch fettfrei. Kein Wunder, musste man für ein Pfund Butter auf dem Schwarzmarkt 250 Mark hinblättern. Fleisch und Fisch waren Raritäten, Obst sowieso. Was kam also dann auf die Teller?
Karola, die Autorin des Bandes, wohnt – weil ausgebombt – mit ihrem Mann Lucull teilmöbliert in Hamburg-Barmbek und ist als
Köchin gnadenlos kreativ. Sie verarbeitet Brennnesseln und Zuckerrübenblätter, macht aus Margarine, Apfelmus, Grieß und Zwiebeln künstliches Schmalz und aus Kartoffelmehl, Magermilch und Backpulver falsche Schlagsahne. Es gibt Brotsuppe, Haferflockenklopse und Kohlklöße.
Die Anregung, ihre Rezepte aufzuschreiben, kommt von Lucull. Karola wird so zur Kochbuchautorin und – aus heutiger Sicht – auch zur Geschichtsschreiberin. Ihr Büchlein hatte aber nicht lange Bestand – mit der Währungsreform 1948 verbesserte sich auch die Versorgungslage, 1950 wurden die Lebensmittelkarten abgeschafft.

Die Illustrationen stammen übrigens von G. Woldemar Hörnig, der sich 16 Jahre später mit der Gestaltung des ersten ZDF-Senderlogos einen Namen machte.

www.bibliotheca-culinaria.de

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