Die Kurpfalz Weinstuben – eine Institution!

Der Begriff „Institution“ steht für eine stabile, auf Dauer ausgelegte Einrichtung, in der wohlgeordnete Handlungsabläufe herrschen. Das klingt zwar ziemlich spröde, aber beschreibt ganz und gar zutreffend, was die Kurpfalz Weinstuben ausmacht. 1935 gegründet, 1944 von einer Luftmine getroffen, 1948 wiedereröffnet, inzwischen im 84. Jahr ihres Bestehens. Ein altehrwürdiges Lokal mit entsprechendem Kolorit, ein Stück altes WestBerlin jenseits jeder Hipster-Herrlichkeit, das die Concierges vieler Hauptstadthotels vor allem ausländischen Gästen empfehlen, die eine besondere Einkehrstätte suchen.

Die meisten hauptstädtischen Restaurantführer scheuen selbst die beiläufige Erwähnung der Kurpfalz Weinstuben. Mag sein, dass die Autoren vom Namen auf die Sache schließen – was dermaßen uncool klingt, kann des Notierens nicht wert sein. Wine Station oder wenigstens Wine Bar, ja, das wäre was anderes. Aber Kurpfalz Weinstuben, das hört sich so verdammt nach Schunkel-Seligkeit und „Der Wein muss alt und jung das Mädel sein“ an, dass man besser darauf verzichtet. Immerhin hat der wohl jeder Altväterlichkeit unverdächtige Niederländer Cees Nooteboom, ein Schriftsteller, der auch als Literaturkritiker und Reisereporter unterwegs war, den Kurpfalz Weinstuben ein literarisches Denkmal gesetzt.

In seinem 1998 erschienenen, weltweit beachteten und verbreiteten Berlin-Roman „Allerseelen“ schreibt er über einen Besuch seines Helden Arthur Daane im Etablissement am Adenauerplatz, über den Wirt, den er Heinz Schultze nennt und über dessen kulinarische Vorträge. „Er wusste, dass die Gäste seine Vorführung liebten und überzog sie daher noch zusätzlich, um die Schwere der Gerichte durch seine Ironie zu mildern, bis Eisbein und Wellfleisch und Schweinshaxe eher wie Ankündigungen eines Balettes klangen denn wie gebratene und geschmorte tierische Überreste, mit denen sich die Germanen, so schien es, seit Varus in ihren finsteren Wäldern ernährt hatten…“ In der Weinstuben-Realität hieß der Wirt (und Küchenchef) zwar nicht Heinz Schultze, sondern Rainer Schulz, aber alles andere trifft ins Schwarze.

Schulz, Jahrgang 1939, Hotelkaufmann aus Hamburg, hatte 1975 die Kurpfalz-Weinstuben von Aenne Müller übernommen, die sie 1935 gemeinsam mit ihrem Mann Bruno eröffnet und durch Kriegs- und Nachkriegszeiten gebracht hatte. Der dritte Inhaber in 84 Jahren heißt seit Anfang November 2015 Vincenzo Berényi. Der 48-jährige Berliner, Vater Ungar, Mutter Österreicherin, wechselte nach seiner Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann in die Gastronomie: Einstein, März, Bar Centrale, Weinhaus Huth, Abschluss als Sommelier und der Wunsch, was Eigenes zu machen. Wieso ausgerechnet die Kurpfalz-Weinstuben, diese Ansammlung von Antiquitäten und Kuriositäten? „Genau das reizte mich“, sagt Berényi, „dieser Ort hatte es verdient, dass sich wieder einer um ihn kümmert, weil er ein Kulturdenkmal ist, das zwar nicht unter Denkmalschutz steht, aber inzwischen wohl Einmaligkeitswert in der Stadt hat.“

Er nennt Namen von Restaurationen, die heute kaum noch einer kennt: Die Neumannschen Weinstuben hinter dem Schillertheater, die Weinstube an der Kaisereiche in Friedenau, die Pfälzer Weinstuben in der Fasanenstraße. Vergangen, vergessen, vorüber. Selbst die Tatsache, dass ihn sein Vorgänger Rainer Schulz warnte – „Wenn du hier nur einen Nagel aus der Wand ziehst, fällt alles zusammen!“ – konnte Vincenzo Berényi nicht umstimmen. Er übernahm die Stuben mit den knarrenden Dielen, den mannshohen, holzvertäfelten Wänden, den bleiverglasten Fenstern, den seltsamen Beleuchtungskörpern und den Rebwurzelschnitzereien im Hinterhofambiente, sanierte die Räume achtsam – „Der Fußboden, die Elektrik, die Küche brauchten unbedingt eine Erneuerung.“ – und ging Mitte April 2016 wieder an den Start. Am Schmuddelcharme des Adenauerplatzes, der BVG-Dauerbaustelle am Kurfürstendamm, dem an Häßlichkeit kaum zu überbietenden Hotel Panorama und der – na ja – schaurigen Tordurchfahrt kann Berényi natürlich nichts ändern. „Für die Gegend bin ich nicht zuständig.“ Für die Stammgäste ist das kein Thema, sie wohnen in besseren Ecken der Stadt und kommen nicht wegen der Umgebung in die Kurpfalz-Weinstuben, sondern wegen der Weine. Das tun auch die Neugäste, die ganz nebenbei eben noch mitkriegen, dass es in Berlin nicht nur Glitzerfassaden gibt.


Was die Weinkarte des Hauses betrifft, sind Superlative erlaubt. „Atemberaubend“, „außergewöhnlich“, „unglaublich“ – solche Attribute hörten wir am Abend unseres Besuches häufig. Sie betreffen zuerst die großen Riesling- und Spätburgunder-Nummern des Kurpfalz-Kellers – etwa ein Kirschgarten Riesling 2013 vom Weingut Phillipp Kuhn in Laumersheim/Pfalz, ein „Großes Gewächs“ mit klarer Fruchtigkeit oder ein Ingelheimer Pares 2009 vom Weingut J. Neus im rheinhessischen Ingelheim, ebenfalls ein „Großes Gewächs“, das durch außerordentliche Kraft und Fülle überzeugt. Lobeshymnen singen die Gäste aber auch auf die opulente Schoppenkarte – 39 offene Angebote von erster Güte. Rheingau: 2012 Oestrich Lenchen, Riesling Kabinett trocken, Weingut August Eser – Pfalz: 2011 Forster Schnepfenpflug, Riesling Kabinett trocken, Weingut Julius Ferdinand Kimich – Franken: 2014 Thüngersheimer Johannisberg, Grauer Burgunder trocken, Weingut Geiger und Söhne… Dabei bewegt sich das Gros der Bouteillentarife in jenen Dimensionen, die das Verweilen in den Kurpfalz Weinstuben bis zum Betriebsschluss durchaus kurzweilig machen.

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Die Speisekarte verzeichnet rund zwanzig Positionen: Flammkuchen, Hechtkrokette, Weinbergschnecken, Winzervesper, Elsasssaibling, Ochsenbacke, Tafelspitz, Königsberger Klopse und Pfälzer Blatt, eine opulente Saumagen-Bratwurst-Leberknödel-Kombination, die mit Weinsauerkraut serviert wird. Wir würden „gutbürgerliche“ Küche sagen, aber der Begriff ist, seit er für jedes pampige Fertiggericht herhalten muss, derart verwässert, dass wir es lieber lassen. Gut ist es dennoch, was in diesem Haus auf die Teller kommt und bürgerlich – im positiven Sinn – ist es auch.

Ordentliche Produkte, keine Experimente, weder aus dem Reich der antiquierten Luxuskonzepte noch aus der sogenannten Moderne, das Handwerkliche im Vordergrund, exakte Garzeiten, mutiges Würzen, die Art und Weise des Anrichtens. Chef am Herd und gleichzeitig Mitinhaber ist Sebastian Schmidt, Potsdamer, Jahrgang 1976, der seine Kochlehre im Allgäu absolvierte und dessen Wanderjahre ihn in den Söl’ring Hof nach Rantum auf Sylt zu Johannes King, in das Restaurant Juliette nach Potsdam zu Dirk Güttes, auf die Malediven und nach Österreich führten. Seine letzte Station schließlich Berlin, Küchenchef im Schlosshotel Grunewald. Seit Anfang 2016 nun die Kurpfalz-Weinstuben. Hier hat Schmidt nicht den Fehler gemacht, die Karte umzukrempeln, sondern er hat sie leicht modernisiert, einigen Gerichten das Barocke genommen, anderen ein bisschen mehr Pep verpasst. „Kräftig, schlicht, geschmacklich harmonisch“, so charakterisiert er seine Küche. Bravo, sagen wir, was Sebastian Schmidt da macht, ist in all seiner Schlichtheit aufrüttelnd und tiefgründig. Wir jedenfalls haben selten so gute Königsberger Klopse gegessen.

KURPFALZ-WEINSTUBEN

Genuss für unterwegs – GARCON als APP

Wilmersdorfer Straße 93
10629 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 — 88 36 664
www.kurpfalz-weinstuben.de

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