Wie an jedem Tag hieß es auch am 21. Oktober im Stuttgarter Friedrichsbau: „Now it’s showtime!“ Die wichtigsten Akteure waren aber nicht wie sonst Gabriel Drouin, Ofelia Grey, Ya Mayka und andere internationale Varietéstars, sondern Menschen, die eher selten im Scheinwerferlicht stehen. Wie Christa Lutum. Die Bäckermeisterin wurde in der Dream Factory der baden-württembergischen Landeshauptstadt als „Bäckerin des Jahres 2022“ ausgezeichnet. Sichtlich gerührt nahm die 61-Jährige die von der Allgemeinen Bäcker Zeitung ausgelobte Ehrung entgegen. In der Begründung der hochkarätig besetzten Jury hieß es: „Sie ist eine Pionierin der Bio-Bäckerei, eine Koryphäe unserer Branche, die mit Einsatz, Kreativität, Qualität und Authentizität seit Jahren Impulse setzt.“ Große Worte, denen Katrin Knopp mit ihrer Laudatio ein sehr persönliches Statement folgen ließ.
Laudatio auf die Bäckerin des Jahres 2022: Christa Lutum
Katrin Knopp, Jahrgang 1985, kam im Rheinland zur Welt und wuchs im Breisgau auf. Nach dem Abitur in Potsdam studierte sie Germanistik und Evangelische Theologie – zuerst an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg und nach einem Auslandssemester in Taschkent an der Berliner Humboldt-Universität. Sicher hätte sie in Forschung oder Lehre Karriere machen können, auch eine Zukunft als Journalistin wäre denkbar gewesen, doch Katrin Knopp entschied sich nach gut der Hälfte ihrer Studienzeit für einen anderen Weg.
2008 begann die damals 22-Jährige in der hauptstädtischen Bio-Bäckerei Beumer&Lutum eine Ausbildung zur Bäckerin, die sie bereits nach anderthalbjähriger Lehrzeit als Jahrgangsbeste abschloss. Sie blieb in ihrem Ausbildungsbetrieb, wurde dort 2009 Assistentin der Geschäftsleitung und avancierte schließlich fünf Jahre später sogar zur ehrenamtlichen Sprecherin der backenden Bio-Branche in Berlin und dem Umland.
Katrin Knopp erinnert sich an ihre Ausbildung
Inzwischen ist Katrin Knopp aus familiären Gründen zwar in einem Unternehmen für nachhaltiges Gebäudemanagement tätig, der Bäckerei im Allgemeinen und ihrer früheren Ausbilderin Christa Lutum im Besonderen blieb sie jedoch eng verbunden. Der Bitte, die Laudatio auf die Bäckerin des Jahres 2022 zu halten, entsprach sie deshalb gern.
Im Folgenden drucken wir Katrin Knopps auf der Festveranstaltung im Stuttgarter Friedrichsbau-Varieté mit viel Beifall bedachte Rede, die sie für Garçon bearbeitet und geringfügig gekürzt hat:
Meine erste Begegnung mit Christa Lutum liegt inzwischen über 15 Jahre zurück. Ich war gerade 22 geworden und fest entschlossen, mein Studium abzubrechen und einen Beruf zu erlernen, bei dem alle sofort wissen, was ich tue. Etwas Praktisches, Handfestes, Handwerkliches also. In einem Einkaufsführer hatte ich die Adresse der Berliner Bio-Bäckerei Beumer&Lutum gefunden und mich kurzerhand um eine Lehrstelle als Bäckerin beworben.
Das erste Treffen mit Christa Lutum
Im Gründungshaus von Beumer&Lutum in der Kreuzberger Cuvrystraße saß ich dann Christa Lutum gegenüber und erlebte, wie die Bäckermeisterin immer neue Argumente fand, um mich davon zu überzeugen, mein Vorhaben aufzugeben. Meine Hartnäckigkeit muss wohl ziemlich groß gewesen sein – jedenfalls ließ sich Christa Lutum darauf ein, mir ein einwöchiges Praktikum anzubieten. ‚Danach bist du geheilt‘, sagte sie. Sollte wider Erwarten das Gegenteil der Fall sein, versprach sie aber auch, könne ich die Lehre beginnen. Eine Frau ein Wort – im Februar 2008 schließlich war ich Auszubildende im Bäckerhandwerk.
Ich lernte nicht nur Fachliches über Mehle und Teige, sondern auch viel Menschliches: Dass nicht gemeckert schon gelobt ist und dass man ‚die Chefin‘ morgens erst um eine Unterschrift im Berichtsheft bitten darf, wenn sie ihre Runde durch den Betrieb gemacht und alle Mitarbeiter begrüßt hat. Vor allem aber lernte ich den Beruf lieben.
Wofür Christa Lutum noch heute steht
Während meiner Lehrzeit entwickelte sich die 1993 von Antonius Beumer und Christa Lutum gegründete Bio-Bäckerei rasant. Zum Kreuzberger Standort in der Cuvrystraße kam ein zweiter hinzu, in der Naumburger Straße in Neukölln, größer und moderner. 800 Quadrat-meter Produktionsfläche, 400 Quadratmeter Kühl- und Personalräume, die Zahl der Mitarbeiter stieg von 70 auf 140. Was blieb, war die Nachhaltigkeit, die bei Beumer&Lutum schon gelebt wurde, als der Begriff noch nicht in aller Munde war. Mehle von Bio-Mühlen aus der Region, Wärmerückgewinnung, begrünte Dächer, Elektrofahrzeuge, das sind nur einige Stichwörter.
Christa Lutum legte den Schwerpunkt ihrer Arbeit als Bäckermeisterin und Geschäftsführerin auf das Thema Markenentwicklung, darauf, das Kreuzberger Öko-Vollkorn-Image zukunftsfähig zu machen. Sie prägte das noch heute gültige Motto ‚Beumer&Lutum – gut gebacken‘, und ich erinnere mich – nach Abschluss meiner Lehre wurde ich ihre Assistentin – wie sie mir dieses schlichte Credo erklärte. ‚Ich will kein Chichi‘, sagte sie, ‚ich will nicht hip sein und ich will auch keine trendigen Backwaren – ich will einfach nur gutes Brot backen.‘
In den folgenden Jahren, in denen ich an Christa Lutums Seite tätig war, lernten wir uns immer besser kennen, und ich erfuhr auch viel aus ihrer Vergangenheit – von ihrer Kindheit Anfang der 1960er in einem Dorf im Münsterland und davon, dass ihre Mutter partout etwas gegen den Besuch des Gymnasiums hatte, Christa Lutum deshalb mit 15 eine Bäckerlehre begann und lange – wie sie es nannte – mit einem ‚Hauptschul-Komplex‘ zu kämpfen hatte. Unglücklich war sie vor allem darüber, dass ihr damaliger Meister nur mit fertigen Backmischungen arbeitete und nicht mit eigenen Rezepten.
Als sie eines Tages in der Bäcker-Zeitung einen Artikel über eine Vollkornbäckerei in Wiesbaden las, die als Kollektiv geführt wurde, wusste sie: Wenn ich mal groß bin, möchte ich Vollkornbäckerin in einem solchen Kollektiv werden.
Von den Anfängen, zur Bäckerin des Jahres 2022
Die meisten dieser fernab überkommener Hierarchien organisierten Backkollektive gab es in West-Berlin. 1982 machte sich Christa Lutum auf, zog ins wilde Kreuzberg, wohnte in einem besetzten Haus und ergatterte ein Praktikum bei Hardy Renner in der Schöneberger Barbarossastraße – Anfang der 1980er neben Weichardt-Brot sowie dem Charlottenburger und dem Kreuzberger Brotgarten eine der ersten alternativen Vollkornbäckereien der Stadt. Der Begriff Bio-Bäckerei übrigens war damals noch weit weg von der Mitte der Gesellschaft, er bürgerte sich erst nach und nach ein als ‚bio‘ gesetzlich definiert wurde. Und gebacken wurde tatsächlich ausschließlich mit Vollkorn, gleich ob Brot, Brötchen oder Kuchen – wichtig war nicht der Geschmack, sondern die ideologische ‚correctness‘.
‚Dennoch habe ich in diesen Jahren viel gelernt‘, resümierte Christa Lutum später einmal diese Zeit, ‚fachlich wie menschlich‘. Das kam ihr sicher zugute, als sie 1986 als eine von vier Frauen unter 75 Männern vor der Handwerkskammer im sauerländischen Arnsberg die Meisterprüfung im Bäckerhandwerk ablegte.
Anfang der 1990er schließlich lernte sie Antonius Beumer kennen, Gründungsmitglied des Neuköllner Mehlwurm-Kollektivs. Der Sozial- und Literaturwissenschaftler und die Bäckermeisterin hatten die-selben Ideen und beschlossen den gemeinsamen Aufbruch zu neuen Ufern. ‚Weg von der reinen Lehre‘, so nannte sie das.
Sollte heißen: Weg von der Ausschließlichkeit des Vollkornmehls; Schrippen, Hörnchen, Splitterbrötchen und andere Feinbackwaren durften nun auch mit hochwertigen Auszugsmehlen gebacken werden. Das Getreide dafür musste natürlich aus kontrolliert biologischem Anbau stammen, außerdem wurde auf jegliche künstliche Backhilfsmittel ebenso verzichtet wie auf Fertigmischungen, selbst wenn sie aus Bio-Produktion stammten. Die Rechnung ging auf, Beumer&Lutum florierte und expandierte.
Ein neuer Anfang
Dennoch entschloss sich Christa Lutum nach 22 erfolgreichen Jahren, die Bio-Bäckerei zu verlassen, um noch einmal etwas Neues zu beginnen. ‚Ich wollte einfach wieder zurück in die Backstube‘, begründete sie ihren für viele überraschenden Schritt, der sicher noch einige andere Facetten hatte, über die sie aber nicht gerne spricht. Obwohl der Name Beumer&Lutum erhalten blieb, konnte ich mir das Unternehmen ohne Christa Lutum nicht vorstellen und entschied, ebenfalls eine neue berufliche Herausforderung zu suchen.
Trotz dieser Trennung blieben wir – Christa Lutum und ich – freundschaftlich verbunden, trafen uns, hörten einander zu, berieten und unterstützten uns. Natürlich auch bei ihrem Neustart in der Charlottenburger Giesebrechtstraße, wo sie 2016 in den Räumlichkeiten der früheren Konditorei Richter ihre Bio-Dinkelbackstube nebst kleinem Café eröffnete, beides inzwischen eine Institution in diesem gutbürgerlichen Kiez. Über der Eingangstür und den Schaufenstern steht ihr Name: ‚Christa Lutum‘ und dahinter ‚Bäckermeisterin‘.Sie wollte zurück zu ihren Wurzeln – hier ist sie angekommen, und ich ahne, wie stolz sie war, als Handwerker den Schriftzug über ihrem Laden anbrachten.
Leistungen, für die es keine Auszeichnungen gibt
Seit wir uns kennen, engagiert sich Christa Lutum in der Berliner Bäcker-Innung – zuerst als Lehrlingswartin und seit 2017 als Obermeisterin der Innung mit vielen Ideen: Ausbildungsinhalte der Zeit anpassen, um unser schönes Handwerk für junge Leute attraktiver zu machen; das leicht angestaubte Innungs-Image modernisieren, um die neue Bäckergeneration für eine Mitgliedschaft zu begeistern; Geflüchteten ein Zuhause im Handwerk ermöglichen – die Aufzählung ließe sich fortsetzen, aber über das meiste, das ich noch anfügen könnte, ist schon einmal gesprochen oder geschrieben worden.
Worüber ich aber unbedingt noch reden möchte, sind Dinge, die man wohl nur als Frau, die unsere Branche kennt, so richtig verstehen kann. Dinge, die Christa Lutum sozusagen zwischen den Zeilen geleistet hat.
Da sind zum Beispiel die aufreibenden ersten Jahre nach der Beumer&Lutum-Firmengründung. Christa Lutum war Mutter zweier Töchter – Pia, geboren 1987 und Sophia, die 1997 auf die Welt kam. Weil ihr Mann die Jüngste häufig zum Stillen in die Backstube brachte und seiner Frau auch im Haushalt den Rücken frei hielt, wurde sie hinter vorgehaltener Hand von diesem und jenem schon mal als Rabenmutter bezeichnet.
Was das mit einem macht, weiß ich nur allzu gut, denn auch mir wurde Jahre später in einer ähnlichen Situation oft gesagt, dass eine Frau mit kleinem Kind gefälligst zu Hause bleiben und ihre Zeit nicht in einer Bäckerei verbringen solle. Zum Glück hatte auch ich einen Partner, der mich unterstützte, und ich hatte zudem mit Christa Lutum eine Chefin, die mir den Rücken stärkte. So konnte ich arbeiten und Mutter sein.
Sicher nicht weniger Kraft wird es Christa Lutum gekostet haben, sich in ihren vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten im Handwerk als Frau zu positionieren. Niemand kann leugnen, dass das Bäckerhandwerk und vor allem seine entscheidenden Gremien fest in Männerhand sind. Auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man als Frau doppelt so viel leisten muss wie als Mann, um ernst genommen und nicht belächelt zu werden.
Dennoch glaube ich, dass die Zukunft des Bäckerhandwerks weiblich ist. Dafür braucht es aber noch viel mehr weiblichen Blick, weibliche Leidenschaft und in erster Linie noch viel mehr weibliche Vorbilder.
So gesehen ist der Titel ‚Bäckerin des Jahres 2022‘ für Christa Lutum total gerechtfertigt. Ich beglückwünsche die Jury zu dieser Entscheidung und sage: Chapeau, Christa Lutum!
Der HippStar, Christa Lutums neue Kreation
Christa Lutums Bio-Bäckerei im gutbürgerlichen Charlottenburg passt in diese Gegend – zumindest äußerlich. Klein und fein, taubenblau und kastanienbraun, Wohlfühlatmosphäre. Eine Backstube mit Café, ein Treffpunkt im Kiez. Das Angebot ist überschaubar: Schrippen, Kaisersemmeln, Haferlinge, Mohn-, Sesam- und Saatenbrötchen, dazu Baguettes und Ciabattas, klassisch, mit Olive oder mit Tomate, Münsterländer und Hürlimänner.
Keine fünfzig Brotsorten, keine Kuchenorgie, keine Tortenschlacht. Ein bisschen wie früher, als ein Brot auch ohne Werbebotschaft ein Brot war. „Gleich kommen noch die dunklen Sachen, Almkruste, Paderborner, Südtiroler, Schwarzkorn und SoLuna-satt, die werden in Kreuzberg gebacken und dann nach Charlottenburg transportiert“, erklärt die Meisterin. Den Grund für diese Entscheidung formuliert sie diplomatisch allgemein: „Manche Mitmenschen empfinden Brotgeruch eben als Belästigung.“ Also beschloss Christa Lutum, in der Giesebrechtstraße nur noch „das Helle und Süße“ zu backen, weil es geruchstechnisch eher unauffällig ist und alles „Dunkle“ in der Gneisenaustraße, weil die Anwohner dort im Geruch frischen Brotes nichts Lebensqualitätsminderndes sehen…
Wir probieren ihre neueste Brotsorte und die erste mit Dinkelsauerteig. „Keine Hefe, 72-stündige Teigführung, daran haben wir eine ganze Weile rumgetüftelt“, sagt sie. HippStar heißt die Kreation. Der Name, eine Anspielung? Christa Lutum lächelt. Auch eine Antwort.
Und nun ist es der 23.12.2022, der das Ende Geschäftes in der Giesebrechtstraße einläutet. Die Bäckerei ist geschlossen, der Laden verkauft. Künftig wird es die Backwaren der ausgezeichneten Bäckerin nur in der Bio-Bäckerei SoLuna gebe.

Christa Lutum.Bäckermeisterin
Giesebrechtstraße 22
10629 Berlin-Charlottenburg
GESCHLOSSEN!!!
Christa Lutum.SoLuna
Gneisenaustraße 58
10961 Berlin-Kreuzberg
Tel. 030 – 61 67 11 91
www.soluna.berlin