Toskana – Kultur und Olivenöl

Die Versilia in der Toskana – ein lohnendes Reiseziel, auch zum besten Olivenöl

„Die Toskana ist ein Lebensgefühl“, so verkünden es die Reiseführer. Sie preisen die landschaftliche Vielfalt, die Pinienwälder, Olivenhaine und Weinberge, die hochprozentige Sonnengarantie und die allgegenwärtige Spuren vergangener Kulturen. Die Toskana – ein Sehnsuchtsziel. Das gilt für die rund 23.000 km² große (die Fläche entspricht etwa der von Mecklenburg-Vorpommern) mittelitalienische Region im Allgemeinen wie für die Versilia im Besonderen. Die historische Kulturlandschaft im Nordwesten der Toskana erstreckt sich zwischen der Küste des Ligurischen Meeres und den Bergen der Apuanischen Alpen, von Marina di Massa im Norden bis nach Torre del Lago Puccini im Süden. Namensgeber des Landstrichs ist übrigens das zwölf Kilometer lange Flüsschen Versilia, das seinen Ursprung im Zusammenfluss der Bergbäche Serra und Vezza hat und das bei Forte die Marmi ins Meer mündet.

Olivenöl

Die Versilia ist touristisch geprägt. Vor allem sind es die über 40 Kilometer langen Sandstrände, deretwegen Gäste aus der halben Welt hierher kommen. In den Badeorten, die sich fast übergangslos aneinanderreihen, ist man auf den sommerlichen Touristenansturm eingestellt – vom Backpacker-Hostel bis zur Luxusherberge, vom Streetfoodstand bis zum Sternerestaurant. Abseits der großen Straßen und fern des Trubels gibt es aber auch stille, pittoreske Bergdörfer, in denen Kirchen und Klöster, Mühlen und Werkstätten viel über die lange Geschichte de Versilia erzählen. Die Römer bauten die ersten Straßen, errichteten Landhäuser und gründeten Siedlungen, später besetzten die Langobarden das Territorium und gaben ihm sein heutiges Gepräge. Die größten Städte der Versilia sind Viareggio (64.000 Einwohner), Camaiore (31.000 Einwohner) und Pietrasanta (25.000 Einwohner). Camaiore und Pietrasanta sind mittelalterliche Stadtgründungen, während der frühere Fischerort Viareggio erst durch den Bauboom im frühen 20. Jahrhundert zum Seebad avancierte.

Pietrasanta, 1255 gegründet, ist – der Name sagt es – ein Ort des Marmors und seiner Bearbeitung: „Pietra“ heißt Stein und „santa“ bedeutet heilig. Keine 20 Kilometer entfernt erstrecken sich die weltbekannten Marmorbrüche von Carrara, von deren Ruhm wohl auch Pietrasanta ein wenig abbekam. Das belegt nicht zuletzt die historische Kulisse des malerischen Städtchens – der Dom San Martino, die Klosterkirche Chiesa die San Agosto und der ziegelrote Campanile, den übrigens Michelangelo entworfen haben soll. Viel Vergangenheit eben. Die Gegenwart in Pietrasanta ist von Handel und Wandel geprägt, viele charmante kleine Geschäfte säumen die schmalen, schnurgeraden Straßen: Mode, Kunsthandwerkliches und Galerien, Galerien, Galerien.

Es gibt ein Skulpturmuseum und viel Kunst im öffentlichen Raum: Fernando Botero, Guiseppe Carta, Emanuele Gianelli, Igor Mitoraj… Keine Frage, der Pietrasanta-Beiname Città d‘arte – Stadt der Kunst“ besteht zu Recht.

Olivenöl

Ganz anders Forte dei Marmi. Hier gibt es zwar auch viel Kunst – die berühmten Bronzeskulpturen von Anna Chromy beispielsweise oder die Marmorstatuen von Arturo Dazzi – aber deswegen kommt keiner nach Forte (Wer schon mal hier war, gebraucht natürlich die Kurzform!). Nein, Forte dei Marmi ist kein Ort kontemplativer Stadtspaziergänge, sondern ein Catwalk zum Schaulaufen. Man trägt Birkin Bag von Hermés, güldene Sneaker von Prada, natürlich die passenden Cinéma-Sunglasses und neuerdings diese grellbunten Shirts und Schals, vor denen alle Träume der Karibik verblassen. Es gibt in Europa wohl keinen zweiten so kleinen Ort, in dem sich dermaßen viele Edelboutiquen drängeln: Armani, Gucci, Ferragamo, Prada, Valentino, Vilebrequin. Forte dei Marmi ist nichts für Asketen und andere Schlucker, und das gilt nicht nur für die modischen Offerten. Auch Mailands Feinkost-Ikone Peck hat hier jüngst eine Dependance eröffnet – ebenso wie der Edelmetzger Pantano Carni aus dem Veneto.

Das Il-Casone Anwesen – Ort der Olivenmagie

Andrea Lehmann ist eine toughe Frau, tatkräftig, entscheidungsstark und von unerschütterlichem Optimismus. Eigenschaften, die man wohl braucht, um aus einem in die Jahre gekommenen Landgut inmitten der grünen Hügel der Versillia ein intimes Gesamtkunstwerk zu machen und ein verwildertes Areal ringsum wieder in das zu verwandeln, was es mal war – ein vor Jahrhunderten angelegter Olivenhain.

Das alles begann vor 25 Jahren mit dem Erwerb des Il-Casone Anwesens in Piano die Mommio, rund 30 Autominuten nördlich von Pisa, dessen verbriefte Wurzeln bis in das Jahr 1729 zurückreichen. Heute bewirtschaftet Andrea Lehmann das Landgut gemeinsam mit ihrem Sohn Alexander, Master-Absolvent der Universität für Gastronomische Wissenschaften im piemontesischen Pollenzo sowie ihrer Schwester Angelika und deren Mann Cornelio. Neben der Vermietung luxuriöser Suiten an internationale Gäste gilt ihr ganzes Augenmerk dem rekultivierten Olivenhain mit seinen über 1.100 uralten und rund 250 neu gepflanzten Bäumen. „Aus Respekt vor der ältesten Kulturpflanze der Menschheit und diesem einzigartigen Biotop bewirtschaften wir unseren Hain von Anfang an nach ökologischen Grundsätzen“, erklärt Andrea Lehmann. Dass sie dafür viel mehr tun, als es die Richtlinien des Biosiegels verlangen, das sagt sie nicht.

Auf Il Casone beginnt die Ernte, wenn die Oliven die sogenannte Rotreife erreicht haben, das heißt, wenn die grünen Früchte einen ersten rötlichen Schimmer aufweisen. In diesem Jahr ist das der 4. Oktober. Ob sich die Mühen des Jahres gelohnt haben, zeigt sich allerdings erst im Herbst. Ende September, Anfang Oktober ist Erntezeit, Hoch-Zeit für die Il-Casone-amilie und ihre Helfer.

Die Ernte – vom Baum in die Flasche

Auf Il Casone beginnt die Ernte, wenn die Oliven die Rotreife erreicht haben, das heißt, wenn die grünen Früchte einen ersten rötlichen Schimmer aufweisen. In diesem Jahr ist das der 4. Oktober. Früher haben die Olivenbauern der Gegend darüber nur schallend gelacht – sowohl über den frühen Erntezeitpunkt als auch über die Tatsache, dass eine Frau ihn festgelegt hat. Im Macho-Land Italien ist Olivenernte Männersache. Punkt. Inzwischen allerdings folgen etliche Produzenten Andrea Lehmanns Je-früher-desto-besser-Prinzip. Es hat sich herumgesprochen, dass die rotreifen Oliven zwar weniger, dafür aber geschmacksintensiveres Öl liefern.

Der Showdown beginnt montagmorgens um sieben. Die Erntebrigade versammelt sich am Ort künftiger Großtaten. Man kennt sich, man begrüßt sich, soviel Zeit muss sein. Ciao Alessio, ciao Alex, ciao Claudio, ciao Leo, ciao Manuel, ciao Frederica, ciao Pietro, ciao Valentina, ciao Sunny, ciao Horst. Horst und Susanne Gluth kommen aus Neustadt am Titisee, sind Freunde des Hauses und nehmen seit 15 Jahren einen Teil ihres Urlaubs, um auf Il Casone als Erntehelfer zu arbeiten. Sie kennen sich aus und verstehen – für Nicht-Italiener überlebenswichtig – auch die wichtigsten Ernte-Vokabeln: cassetta = die Kiste, rete = das Netz, tuto = der Schlauch und avanti sbrigati, das heißt los, beeile dich.

 

Cornelio ist der Brigade-General. Der 71-Jährige war mal Alpinisti-Korperal, dementsprechend klingen seine Ansagen. Olivenernte ist schließlich kein Kindergeburtstag. Die Aufgaben der Erntehelfer sind fix, es gibt Schüttler, Leser, Träger und Netzeleger. Am höchsten in der Rangordnung sind die Schüttler. Sie bedienen ein Gerät, das verniedlichend Manina heißt, aber sechs, sieben Kilo wiegt und so lang ist wie eine Stabhochsprungstange. Am oberen Ende befinden sich zwei kammähnliche Plastikteile, die, druckluftbewegt, die Äste schütteln, damit die Oliven in die Netze fallen.

Die Leser sammeln sie dort auf und befördern sie in Kisten. Das ist die leichteste Arbeit, weshalb die Leser auch auf der untersten Stufe der Erntehelfer-Hierachie stehen. Die Träger müssen die 15-Kilo-Kisten zu den Sammelstellen schleppen, das macht jeder, der tragen kann. Die Netzleger schließlich sind eine Spezialistentruppe, die weiß, wie wichtig sie ist. Schüttler, Leser und Träger stehen auf dem Schlauch, wenn die zum Teil handballfeldgroßen Netze nicht so liegen, wie sie liegen müssen.

Übrigens: Andrea Lehmann hat diese Textpassage gelesen und den Kopf geschüttelt. „Ich will mal so sagen“, kritisiert sie, „Olivenernte ist unbedingtes Teamwork, nix Hackordnung, keiner kann ohne den anderen.“

Oliven in der Mühle

„Oliven sind unschuldig – bis zur Ölmühle“, titelte vor einiger Zeit ein deutsches Food-Magazin. „Das klingt sicher gut, aber wenn damit gemeint ist, dass sich einzig und allein dort entscheidet, welche Qualität ein Olivenöl am Ende aufweist, dann geht diese Überschrift am Kern der Sache vorbei“, so Alexander Lehmann. Der 29-jährige Olivenbauer weiß, wovon er spricht. Er hat sich während seines Studiums an der Università degli Studi di Scienze Gastronomiche, der Slow-Food-Universität im piemontesischen Pollenzo, intensiv mit dem Thema Ölqualität beschäftigt und sogar eine Bachelorarbeit darüber geschrieben. „Neben den Auswirkungen des Klimawandels, die wir nicht beeinflussen können“, sagt er, „haben auch viele subjektive Faktoren Einfluss auf die Qualität des Olivenöls – die Pflege des Olivenhains, der Baumschnitt, die Düngung und der Pflanzenschutz ebenso wie Erntezeitpunkt, Erntetempo und Erntetechnologie und am Ende dieser Kette natürlich auch die Arbeit der Ölmühle.“

Rund 4.600 solcher Mahlbetriebe, so genannter Frantoios, gibt es in Italien. Darunter sind viele kleine Klitschen mit museumsreifer Technik, eher Ölvernichter als Ölproduzenten, aber auch eine ganze Reihe höchst modern ausgestatteter Unternehmen. Zu letzteren gehört die Frantoio di Massarosa in Piano del Quercione, rund 15 Autominuten vom Landgut Il Casone entfernt. Der 1997 gegründete typisch toskanische Familienbetrieb – an der Seite von Inhaberin Miria Del Carlo und ihrem Mann Marco Lederone arbeiten auch Tochter Deborah und Sohn William – liegt in einem Gewerbegebiet außerhalb des Ortes. In einer schmucklosen Halle regiert High Tec. 250.000 Euro hat die Familie in den letzten Jahren in die Ausstattung ihrer Mühle gesteckt, kein Wunder, dass die Frantoio di Massarosa als Branchenprimus der Gegend gilt, Olivenbauern selbst von weit her ihre Früchte zum Pressen nach Piano del Quercione bringen und ein Andrang herrscht als gäbe es hier Öl umsonst.

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KostprobenHeader©BildArt Media

Die Prozedur der Gewinnung des grünen Goldes dauert rund eine dreiviertel Stunde. Die Oliven werden gewaschen, von Blättern und Zweigen getrennt und in einer luftdicht verschlossenen Apparatur zu Brei gemahlen und gepresst. Das entstandene Öl-Wasser-Gemisch wird in eine Zentrifuge gepumpt und dort in seine Bestandteile getrennt. Anschließend erfolgt die Filtration des Öles, aus dem pastösen Trester werden Holz- und Kohleanzünder hergestellt. Übrigens: Nirgendwo im Produktionsprozess dürfen 27 Grad Celsius überschritten werden – nur wenn das gewährleistet ist, gilt das Öl als kaltgepresst.

Olivenöl vom Tank in die Welt

Am 14.Oktober um 12.00 Uhr mittags sind rund 1.400 Olivenbäume geschüttelt, die Netze eingerollt und in den Tanks des Il-Casone-Öl-Kellers lagern 700 Liter Olio extra vergine.

Wie in der Ölmühle in Piano del Quercione herrscht auch hier moderne Technik. Terrakotta-Amphoren mit Holzdeckeln als Ölbehälter, das war einmal. „Wir füllen unser Öl von Anfang an in Edelstahltanks, die mit einer Anlage zur Stickstoffüberschichtung des gelagerten Öls verbunden ist“, so Andrea Lehmann.

Der Grund liegt auf der Hand: Olivenöl ist zwar nicht im selben Maß oxidationsanfällig wie etwa Wein, aber auch Olivenöl altert unter Lufteinfluss. „Deshalb erfolgt die Abfüllung in Flaschen auch erst, wenn eine Bestellung eingegangen ist.“ Und die kommen schon Mitte Oktober reichlich – möglicherweise auch deshalb, weil Tester dem Il-Casone-Olivenöl des Jahrganges 2021 ein erstklassiges Zeugnis ausgestellt haben. „Es besticht“, heißt es da, „durch seine olivgrüne Farbe, seinen ausgeprägt würzigen, bitterrmandeligen Duft, eine artischockenartige Adstrigenz, die feine, sich steigernde peperonciartige Schärfe und eine warme, vegetale Bitterkeit…“

Das Testerchinesisch könnte man vielleicht so übersetzen: „Nicht milder Mainstream, sondern kraftvolle Individualität.“ Immer noch zu geschwollen? Dann eben ganz schlicht: „Spitze“. Das akzeptiert dann auch Öl-Lady Andrea Lehmann mit ihrer Totalaversion gegen hochtrabende Formulierungen.

Das Befüllen der Flaschen, das verschließen mit Naturkorken, das Versiegeln mit Bienenwachs, das Etikettieren und Verpacken ist übrigens Handarbeit – und Teamwork. An der Seite der Chefin agieren ihre Schwester Angelika und Hans Diener, pensionierter Handwerksmeister aus dem baden-württembergischen Tuttlingen, profunder Italienkenner und seit vielen Jahren regelmäßiger Gast auf Il Casone. Er sagt: „Wer kulinarisch wirklich mitreden will, kommt an diesem Olivenöl nicht vorbei.“ Wer den Meister kennt, weiß, dass dieser Satz kein billiges Kompliment ist.

Genuss für unterwegs – GARCON als APP

IL CASONE 1729
Via delle Fonti, 369
55054 Massarosa Fraz. Piano di Mommio
Tel. +39 0584 – 998 025
www.ilcasone1729.com

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