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Restaurant ORA – Austern aus der Apotheke

Als der Apotheker Klaus Dallmann, letzter Pächter der Oranien-Apotheke, 2012 in den Ruhestand ging und die Räumlichkeiten inklusive des alten Mobiliars an die Filmemacher Christoph Mack und Lukas Schmid gingen, sahen viele Anwohner das Ende des historischen Apotheken-Ambientes nahe. Doch Mack und Schmid wussten um dessen Wert und richteten ihre Brasserie ORA rund um das über einhundertjährige Interieur ein. Das bescherte ihnen nicht nur Lob bei Architekten, Designern und Historikern, die Adresse des ORA fand sich fortan auch in vielen Reiseführern. Und das wiederum bescherte dem nunmehr kulinarischen Ort schnell Gäste aus der halben Welt, die den sensiblen Umgang mit einem Stück Hauptstadtgeschichte lobten und die Brasserie weiterempfohlen.

Tatsächlich gehört die 1860 eröffnete Oranien-Apotheke zu den ältesten Apotheken in Berlin. In diesem Jahr hatte der Charité-Apotheker Rudolf Kade die Konzession zur Eröffnung einer Apotheke am Oranienplatz erhalten – damals übrigens die erst vierzigste Apothekengründung in der bereits 430.000 Einwohner zählenden Stadt. 1874 ging die Konzession auf Kades Sohn Richard über, 1886 schließlich erwarb Franz Lutze die Oranien-Apotheke. Der aus Ostpreußen stammende und an der Universität Rostock promovierte Lutze baute das Kellerlabor der Apotheke in den Folgejahren zu einem „Medizinisch-pharmazeutischen Fabrikations-, Handels- und Exportgeschäft“ aus und zählte mit seiner Saccharintablettenproduktion zu den ersten Herstellern dieser Arzneiform in Deutschland. 1895 wurde er „Hoflieferant des Kaisers und Königs“ und „Lieferant des Reichskolonialamtes“ und versorgte sowohl die kaiserliche Yacht „Hohenzollern“ als auch die sogenannte Schutztruppe in den deutschen Kolonien mit Arzneimittel und Verbandsmaterial.

ORA, die Austern-Apotheke

So langsam kriegen die Michelbergers ja etwas Unheimliches. Egal, was sie sich vornehmen, es wird so stimmig, dass es einem den Atem verschlägt. Das gilt für ihr Hotel in der Warschauer Straße ebenso wie für ihre Spreewaldfarm und natürlich auch fürs ORA am Oranienplatz, das Nadine und Tom Michelberger gemeinsam mit ihrem Küchendirektor Alan Micks vor gut zwei Jahren übernahmen und das alteingesessene Kiezbewohner seitdem eher ehrfürchtig als despektierlich „Austern-Apotheke“ nennen.

Auch die neuen Betreiber vermieden es tunlichst, an das historische Interieur Hand anzulegen, sondern setzten lediglich einige Details ins rechte Licht: Apothekerwaagen, Mikroskope, Pipetten, Büretten und Petrischalen sowie etliche andere antiquarische Schätze. Übrigens: Für das „Deutsche Arzneibuch“ von 1910, den Band „Spezialitäten und Geheimmittel“ von Hahn und Holfert oder für „Gehes Codex“ aus dem Jahr 1919 sollen Liebhaber schon dreistellige Summen geboten haben…

Das ORA und seine Leute

Keine Frage, eine Einkehr im ORA ist ein lohnender Bildungsausflug – historisch lehrreich und sättigend zugleich. „Manchmal kommen wir uns schon ein bisschen wie Museumsführer vor“, sagt Giorgio Pirrone, „vor allem, wenn Gäste aus dem Ausland nicht nur allgemeine Fragen zum Apotheken-Ambiente haben, sondern auch noch wissen wollen, was es mit der geometrischen Struktur des Deckenstücks oder der besonderen Art der Polsterung unserer alten Ledersofas auf sich hat.“

Der 37-jährige Italiener aus Palermo lebt seit neun Jahren in Berlin und war – bevor er als Restaurantleiter ins ORA wechselte – vier Jahre lang Servicechef im Schöneberger In-Lokal To Beef Or Not To Beef.

 

Eine respektable Weinkarte

An der Seite des allzeit bestens gelaunten (außer, wenn er fotografiert werden soll) Pirrone agiert Sommeliere Amyna Le, 28, gebürtig im australischen Perth und seit vier Jahren in Berlin.

Miss Charming Amyna Le präsentiert eine respektable Weinkarte, insgesamt 190 Positionen: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Österreich, Griechenland, Portugal, Neue Welt. Dazu einige Kreszenzen aus Kroatien, Rumänien, Tschechien, Ungarn und der Slowakei. Respekt dafür und vor allem für die große Zahl von biodynamisch erzeugten Gewächsen und Naturweinen, darunter etliche Lieblinge wie der Silvaner „Ziegental“ von Konni & Evi Buddrus aus. Freyburg/Unstrut, der Lemberger „roterfaden“ von Olympia Samara & Hannes Hoffmann aus Vaihingen/Württemberg (nicht aus Franken, wie die Weinkarte meint) und der als Pet Nat „Ancestrale“ ausgebaute St. Laurent von Claus Preisinger aus Gols im österreichischen Burgenland.

Der aktuelle Favorit von Amyna Le kommt von weiter her – ein herrlich süffiger Chenin Blanc Orange namens „Baby Bandito“ von Testalonga, dem persönlichen Projekt des südafrikanischen Winzers Craig Hawkins, der eigentlich in Swartland für Lammershoek arbeitet.

Was in einer Austern-Apotheke nicht fehlen darf: Austern-Fine

Das ORA steht natürlich nicht nur für eine ziemlich außergewöhnliche Weinofferte und einen aufmerksamen, gästefreundlichen Service (das von Kritikern bemängelte „Husch-Husch“ der Mitarbeiter konnten wir bei keinem unserer Besuche nachempfinden), sondern auch für eine ebenso befriedigende wie verantwortungsvolle metropole Küche.

Zuständig dafür ist der 31-jährige Sam Kindillon, Ire aus Dublin, der sich sein Rüstzeug für den Job als Küchenchef in der Kopenhagener Weinbar Manfreds holte, die neben dem Sternerestaurant Relæ, der Pizzeria Bæst und der Bäckerei Mirabelle zum kleinen Gastroimperium des italienisch-norwegischen Spitzenkochs Christian Puglisi gehörte.

Kindillon und sein internationales Team bieten Kleinigkeiten für Menschen, die nur mal eben auf ein Glas Wein oder einen Cocktail ins ORA kommen: Butter und Brot, Burrata mit Olivenöl, Rüben mit Bottarga, gegrillte Languste mit fermentierter Chilibutter und natürlich Austern-Fine de Claire mit Shiso-Mignonette.

lässige Moderne

Außerdem gibt es je drei Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts sowie einen Käseteller, aus denen sich die Gäste ein Drei- oder Vier-Gänge-Menü zusammenstellen können: Zucchinisuppe mit Frischkäse, Rhabarber und Haselnüssen, Jakobsmuscheln mit Kohlrabi, Meerretich und Holunderblüten oder Seezunge mit Queller, Erbsen und Sauce Américaine – alles orientiert sich am saisonalen Marktangebot, wird mit Liebe und Witz gekocht und ist vielleicht unter der Headline „lässige Moderne“ am besten aufgehoben.

Sam Kindillon sind solche Schubladen egal. „Schreiben Sie lieber über unsere Lieferanten“, bittet er und nennt Wilmars Gaerten in Märkisch Wilmersdorf, den Siebengiebelhof in Drenkow, die eigene Michelberger Farm in Vetschau, den Weide Ei-Hof von Johannes Habel in Falkenhagen und den Berliner Fish Klub.

RESTAURANT ORA
Oranienplatz 14
10999 Berlin-Kreuzberg
Tel. 030 – 54 86 10 70
www.ora.berlin

 

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