Als Georgia O´Keeffe (1887-1986), eine der bedeutendsten und erfolgreichsten amerikanischen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, die in Deutschland vor allem durch ihre Stadtansichten von New York bekannt wurde, 1923 ihr Alligator-Pears-Bild schuf (Öl auf Leinwand, 30,5×25,4 cm), galt die Avocado noch als „obscure delicacy“, als weithin unbekannte Exotin. Für fast alle Kochbücher dieser Zeit war sie kein Thema, lediglich einige spezielle Rohkostveröffentlichungen erwähnten Mitte der 1930er die Avocado als Butter- oder Alligatorbirne (wegen ihrer grünen, ledrigen Haut), ohne allerdings auf die Riesenbeere aus der Familie der Lorbeergewächse näher einzugehen. Das wäre heute nicht mehr vorstellbar. Die Avocado hat in den letzten Jahren einen Siegeszug sondersgleichen angetreten, der 2018 sicher einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. So erklärte die World Avocado Organization den Juni kurzerhand zum Avocado-Monat, initiierte Presseaussendungen und Verbraucherinformationen und editierte sogar ein e-Kochbuch ausschließlich mit Avocadogerichten.
In München feierte ein Luxushotel eine „AvoYoga-Party“ und in London bejubelte nicht nur die vegetarisch-vegane Community „a new kind of superfood“. Selbst seriöse britische Zeitungen berichteten auf ihren Genussseiten über „Avolato“, den aktuellen Sommer-Snack von Selfridges für trendige Londoner. Dabei handelt es sich um Avocado-Eis – Avo(cado) + (ge)lato – serviert in einer Avocado-Schale mit einem Kern aus Erdnussbutter und Leinsamen-Eis. Damit konnten die Briten zwar ein paar Punkte sammeln, aber der unaufhaltsame Aufstieg Deutschlands zur Avocado-Nation Nummer eins war mit Avolato natürlich nicht aufzuhalten.
So meldete das Statistische Bundesamt ebenfalls während der Sommermonate einen Avocado-Absatz-Anstieg in Deutschland um satte 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für 2017 stehen damit 69 Millionen Kilo auf der Konsumenten-Uhr – und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir in diesem Jahr die 70-Millionen-Kilo-Schallmauer nicht knacken.
Da liegt die Frage auf der Hand, wieso es ausgerechnet eine etwa 400 Gramm schwere Beere so weit bringen konnte? Die schlichte Antwort: Avocados sind gesund und machen schön. Dank ihres milden, nussigen Aromas und ihres zarten, cremigen Fruchtfleisches eignen sie sich für Salate, als Brotaufstrich oder für Crèmes und Desserts. Ihre buttrige Konsistenz sorgt geschmacklich für höchsten Genuss und ein angenehmes Sättigungsgefühl.
Hinzu kommen die Inhaltsstoffe: Avocados sind reich an ungesättigten Fettsäuren, die den Cholesterinspiegel senken sowie Herz und Gefäße schützen können, und der hohe Anteil an B-Vitaminen, Kalium und Magnesium tut ein Übriges. Man kann sich das pürierte Fruchtfleisch sogar als Peeling ins Gesicht schmieren und – glaubt man diversen Internetforen – der Jungbrunneneffekt stellt sich in Minutenschnelle ein. Das Avocadoöl schließlich, das aus dem grünen Fruchtfleisch gepresst wird, macht trockene und schuppige Haut wieder geschmeidig. Wow – die Wunderfrucht, die sich dank ihrer vielen Vorzüge perfekt als Lifestyle-Lebensmittel vermarkten lässt. Und wenn dann noch Superpromis wie Mariah Carey und Gwyneth Paltrow eine Lanze für das Superfood brechen – Letztere gleich mit drei Avocadotoast-Rezepten in ihrem Kochbuch „It´s all easy“ – dann scheint ja alles im grünen Bereich.
Doch, wie so häufig, der Schein trügt. Bereits vor zwei Jahren brachte die taz das Problem auf eine kurze Formel. „Grün, beliebt, zerstörerisch“ überschrieb das Blatt eine Reportage aus Mexiko über die verheerenden Folgen des Avocadobooms.
„Die seit Jahren steigende Nachfrage“, heißt es da, „hat dazu geführt, dass die Anbauflächen in Mexiko zwischen 2000 und 2010 von 95.000 Hektar auf rund 134.000 Hektar erweitert wurden.“ Jaime Navia Antezana von der Agrar- und Umweltorganisation Gira rechnete bereits damals, dass pro Jahr 1.500 bis 4.000 Hektar Wald gerodet werden, um Platz für Avocado-Felder zu schaffen – das heißt, dass derzeit allein in Mexiko auf über 150.000 Hektar Avocados angebaut werden.
Das Gros der Flächen liegt im Bundesstaat Michoacán im Westen des Landes. Dort wiederum konzentriert sich der Anbau in der Meseta Purépecha, einer weitläufigen Hochebene. Monokulturen, so weit das Auge reicht, die jährlich Millionen Hektoliter Wasser benötigen. 1.000 Liter, so eine Faustregel, sind nötig, um ein Kilogramm Avocados zu produzieren, rund drei Stück also. Eine Studie der Universität Twente in den Niederlanden kam sogar auf 2.000 Liter. Tomaten übrigens, auch eine durstige Kultur, brauchen nicht einmal ein Fünftel davon.
Doch mit dem Wasser ist es nicht getan. Um die Erträge der großen Bäume mit den dicken, lorbeerartigen Blättern stabil zu halten – vier Mal im Jahr kann geerntet werden – müssen Mineraldünger und Pestizide ausgebracht werden, die den Boden versalzen und das Grundwasser verseuchen. „Was wir hier als gesund essen, ist andernorts also ungesund für alle“, kommentieren die Kritiker des extensiven Avocadoanbaus dessen dramatische Folgen für die Umwelt – nicht nur in Mexiko, sondern auch in anderen Erzeugerländern.
Wer also eine Ökobilanz der geschmacksstarken und gesunden Exotin aufmacht, dem Wasserverbrauch in den Anbauregionen den Energiebedarf für den Transport über tausende Kilometer, die notwendige Kühlkette und die speziellen Reifekammern hinzurechnet, kommt rasch auf ein verheerendes Resultat. Da ist jede Rübe umweltverträglicher. Und nun?
Kein Nahrungsmittel bringt nur Gutes oder Schlechtes. Es gibt immer ein Für und Wieder. Also weder den Hype befördern noch irgendeine Hysterie schüren, sondern einfach nur vernünftig konsumieren.
Avocado
mandelbaums kleine gourmandisen
mandelbaum Verlag
Wien 2017
ISBN 978-3-85476-531-8
Preis 12 Euro