Griechische Küche ohne Gyros und kretische Feinkost
Marinierte griechische Kapernblätter und -knospen, in Honig eingelegte Pistazien, die feinen Santorinlinsen, der kleinblättrige, nur im Süden Griechenlands heimische Diptamdost oder der Trikalinos-Bottarga, eine weltweit geschätzte Delikatesse aus dem getrockneten und gepressten Rogen der Großköpfigen Meeräsche – diese und andere Hellas-Spezialitäten gibt es in Berlin nicht an jeder Ecke. Griechische Feinkostofferten sind rar in der Hauptstadt.
Alas am Olivaer Platz, Pikilia in Schöneberg, Rises Delicacies in Mitte und bestenfalls noch eine Handvoll weiterer Anlaufpunkte – das war’s dann auch schon. Stop, nicht ganz, denn da gibt es neuerdings noch eine gute Adresse, insbesondere für kretische Viktualien.
Tipp von den Nachbarn
Gabriela und Hans-Michael Nitschke sind kulinarisch interessierte Menschen, und sie sind meine Nachbarn. Gelegentlich sprechen wir über neue Restaurants oder gute Lebensmittel, und zu Festtagen lassen wir uns als Zeichen nachbarlicher Wertschätzung gegenseitig kleine Präsente zukommen – eine hausgemachte Marmelade, ein gutes Öl, einen besonderen Honig oder – wie letztes Weihnachten – einige griechische Spezialitäten. Als ich das Päckchen öffnete, kam auch eine Visitenkarte zum Vorschein: Der Kretaner, Riemeisterstraße, Berlin-Zehlendorf.
Ein Déjà-vu-Erlebnis. Dreizehn Jahre zuvor hatte ich über ihn geschrieben, über Dimitris Psallidakis, den Griechen ohne Gyros, der gemeinsam mit seiner Partnerin Elena Spanopoulou gegenüber dem U-Bahnhof Onkel Toms Hütte ein griechisches Restaurant betrieb und sich beharrlich weigerte, das fastfoodige Säbelfleisch zu servieren. „Wir sind doch keine Imbissbude“, stemmte er sich damals hartnäckig gegen den Wunsch gyrosversessener Gäste. Die Entscheidung eines erneuten Besuches ist schnell getroffen.
Restaurant und Feinkostgeschäft
Das Restaurant und die kleine Pension am Rande der von Bruno Taut zwischen 1926 und 1932 im Auftrag der Gemeinnützigen Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft errichteten Zehlendorfer Waldsiedlung wirkt äußerlich frischer als ich es in Erinnerung habe – wahrscheinlich gab es in den letzten Jahren einen neuen Anstrich. „Kalos orisate“, begrüßt mich ein Mann mit vollem Bart, „herzlich willkommen.“ Den inzwischen 55-jährigen Dimitris Psallidakis erkenne ich – ehrlich gesagt – erst auf den zweiten Blick. Bei seiner Frau Elena hingegen habe ich dieses Problem nicht. Sie lächelt und bedankt sich für das Kompliment: „Wenn man 50 geworden ist und zwei erwachsene Kinder hat, hört man das ganz gerne.“
Im Inneren des Restaurants hat sich viel verändert, das wohl Wichtigste sind die hohen Regale im Vorraum, voll mit griechischen Lebensmitteln, sorgfältig geordnet und akkurat beschriftet. Nachdem die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder am 28. Oktober 2020 den zweiten Lockdown für große Teile des öffentlichen Lebens, darunter die Hotellerie und Gastronomie, verkündet hatte, fand Dimitris Psallidakis nächtelang keinen Schlaf mehr. „Ich erinnere mich noch genau“, erzählt er, „tagsüber haben wir uns auf das schon erprobte Take-away-Geschäft vorbereitet und nachts habe ich gegrübelt, was wir noch tun können, außer auf staatliche Hilfe zu hoffen.“
Irgendwann kam ihm schließlich die Idee mit dem Feinkostverkauf. Man hielt Familienrat und beschloss, die Sache anzugehen. „Am 1. November 2020, das war ein Sonntag, haben wir dann alles aus dem Keller geholt und aufgebaut, was uns geeignet erschien – Olivenöl, Meersalz und Kräutertee, ein paar Konserven und diverse Weine.“ Und siehe – es funktionierte. Viele der Gäste, die bestelltes Essen abholten, kauften noch was extra. Als dann die damals amtierende Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop am 19. November 2020 mitteilte, dass es völlig unklar sei, wann die Restaurants in der Hauptstadt wieder öffnen dürften, war aus dem provisorischen Angebot des Kretaners schon ein gut sortiertes geworden.
Von Bottarga bis Ouzo
Psallidakis stellte Regale auf und richtete einen kompletten Delikatessenladen ein. Woche für Woche kamen Lieferungen mit Produkten heimatlicher Manufakturen in der Riemeisterstraße an: Käsespezialitäten aus der Familienkäserei Proikas in Soho, einem Bergdorf nahe Thessaloniki, Kastanien-, Pinien- und Thymianhonig des kretischen Imkers Manolis Stefanakis aus Arkalochóri, eine Riesenauswahl traditioneller Kreta-Kräutermischungen aus Ágios Nikólaos, das hierzulande noch wenig bekannte Superfood Johannisbrotsirup, hausgemachtes Gebäck, Ouzo und Tsipouro, Chutneys und Marmeladen und natürlich der berühmte Bottarga der Trikalinos-Familie aus dem Athener Vorort Dafni.
Dimitris Psallidakis übrigens offeriert den getrockneten und gepressten Rogen der Großen Meeräsche auch in einer schicken schwarzen Geschenkbox. „Wenn internationale Spitzenköche wie Alain Ducasse, Thomas Keller oder Joan Roca den Trikalinos-Bottarga zu den wichtigsten Grundprodukten ihrer Küche zählen, dann ist er in Berlin allemal ein gutes Präsent.“ Hinzu kommen eigene Convenience-Produkte, die er in seiner Restaurantküche zubereitet: gefüllte Zucchiniblüten, gerollte Weinblätter, gedämpfte Teigtaschen, selbstverständlich alles ohne irgendwelche künstliche Zusatzstoffe hergestellt.
Familiensache
Rund 350 Feinkostartikel sind es inzwischen, die Psallidakis unter dem Namen „Kretische Erde“ verkauft, und wir sind uns sicher – so viel Griechenland gibt es nirgendwo sonst in Berlin. Ein Besuch des neuen Ladens lohnt sich somit doppelt: Er erweitert den kulinarischen Horizont, und man lernt das Land im Südosten Europas besser kennen.
Nachdem wir uns sattgesehen haben, sitzen wir in der durch das Abzwacken von Fläche für die Feinkostofferte zwar kleineren, aber noch immer gemütlichen Gaststube des Kretaners: Dimitris Psallidakis, Koch von Beruf und gebürtig in Ágios Nikólaos, einer Kleinstadt im Osten Kretas, der 1989 nach Deutschland kam; seine Frau Elena Spanopoulou, die als Tochter griechischer Eltern im badenwürttembergischen Bietigheim-Bissingen geboren wurde und in Thessaloniki Modedesign studiert hat sowie Sohn Nico, 22 und Volkswirtschafts- Student an der Freien Universität Berlin. Tochter Maria, 24, hat ebenfalls an der FU studiert – Rechtswissenschaften – bereits das erste Staatsexamen hinter sich und absolviert derzeit eine Zusatzausbildung in Maastricht, Fachrichtung Internationales Recht.
Der Chef serviert griechischen Kaffee, der in Wirklichkeit ein Mokka ist sowie die traditionellen Mezes, eine Auswahl kalter und warmer Vorspeisen. Und wir sprechen über die Zukunft. Den Feinkosthandel wolle er auf jeden Fall nicht nur beibehalten, sondern ausbauen, so Psallidakis, zumal sich Sohn Niko durchaus vorstellen könne, hier mal mit einzusteigen.
„Wir planen außerdem, unsere Weinkompetenz noch stärker nach vorne zu bringen, der griechische Wein hat das inzwischen allemal verdient“, fügt er hinzu, „und geeignete Räumlichkeiten beispielsweise für Degustationen haben wir auch.“ Nikos Psallidakis präsentiert – ganz im Gastgeber-Modus – einige Kostproben: Der weiße Dafnios des kretischen Weingutes Douloufakis besticht durch seine Frische, die angenehme Säure und das feine Finish. Ein roter Mantilari des ebenfalls auf Kreta ansässigen Weingutes Lyraraki punktet mit kräftigen Aromen von Bitterschokolade und Brombeere.
Keine Frage, die Retsína-Zeiten, in denen selbst hartgesottene Trinker mindestens einen schweren Tag hatten und in denen die Devise „Masse statt Klasse“ Mode war, sind in Griechenland längst vorbei. „Dennoch ist das Wissen um unseren Weinbau hierzulande noch wenig ausgeprägt“, so Student Niko, „wir haben also eine Aufgabe.“ Übrigens: Im kommenden Jahr feiert der Kretaner sein 20-jähriges Jubiläum. Dimitris Psallidakis: „Ich könnte mir durchaus vorstellen, an diesem Tag gemeinsam mit Vicky Leandros am Herd zu stehen und Highlights aus ihrem Kochbuch sowie einige meiner Klassiker zu servieren.“
Der KRETANER
Riemeisterstraße 129
14169 Berlin-Zehlendorf
Tel. 030 – 84 71 91 17
www.derkretaner.de