Das „Bäckerhaus“ in der Lankwitzer Seydelstraße – so genannt, weil hier die Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks Berlin-Brandenburg und die Bäcker-Innung Berlin unter einem Dach residieren – ist normalerweise ein Ort eher stillen Schaffens. Am zweiten Junidonnerstag allerdings herrschte im Haus bereits um 6.30 Uhr morgens ein Gewimmel wie auf einem Berliner Wochenmarkt zur Mittagszeit – mit dem Unterschied, dass dort vorwiegend deutsch gesprochen wird, hier das Sprachengewirr aber nachgerade babylonisch wirkte. Johannes Kamm, Geschäftsführer der Berliner Bäcker-Innung, lächelte milde: „So ist das eben bei einer Weltmeisterschaft.“ Der 43-jährige Jurist, seit 2016 im Innungsamt, begleitete uns, begrüßte Teilnehmer, Trainer und Kampfrichter der 50th UIBC International Competition of Young Bakers – so die offizielle Bezeichnung dieses Championats – erklärte Medienleuten aus verschiedenen Ländern Regeln und Räumlichkeiten und fungierte ganz nebenbei auch noch als Kunst-Erklärer. Ein Kameramann aus Singapur hatte in der Cafeteria des Bäckerhauses ein Bild entdeckt und bat um eine Erläuterung.
Baking is art
Johannes Kamm studierte die farbenfrohe Malerei intensiv, wies auf das Motiv und lächelte wieder milde: „It means, baking is art!“ „Oh, it´s great“, bedankte sich der Kameramann, „it´s a good title for our story!“ Fanden wir übrigens auch (s. Seite 60) und fügen der Vollständigkeit halber noch den Namen der Künstlerin hinzu. Gemalt hat das Bild Birgit Schulz, Verkaufsleiterin der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks Berlin-Brandenburg. Was es mit dem Backen und der Kunst auf sich hat, verorteten wir bäckerischen Laien zuerst bei den so genannten Schaustücken, von denen bei dieser Weltmeisterschaft jedes Team eins – welches Verb passt jetzt eigentlich am besten? – backen oder bauen musste. Das Thema: Natur. Ehrlich gesagt standen wir allerdings etwas ratlos vor den bis zu 1,60 Meter hohen Back-Skulpturen und fragten uns, ob der Zeit- und Produktaufwand die ganze Sache wirklich wert ist, zumal aus den Schaustücken am Ende des Tages auch keine Essstücke werden.
Günther Koerffer, deutsch-schwedischer Bäcker- und Konditormeister, Hofkonditor des schwedischen Königshauses, Vizepräsident der International Union of Bakers and Confectioners (UIBC) und Juror beim großen RTL-Profibacken, nennt die „Show pieces“ das „Nonplusultra der Backkunst“. „Hier kommen künstlerische Fähigkeiten und handwerkliche Fertigkeiten zusammen“, sagt er uns, „es geht um Perfektion und gegebenenfalls um Improvisation und um Teamwork.“ Das klingt zwar überzeugend, räumt aber dennoch unsere Zweifel nicht völlig aus, ob die Schaustück-Show wirklich noch zeitgemäß ist.
Die Welt zu Gast in Berlin
Acht Mannschaften aus acht Ländern und von drei Kontinenten – Amerika, Asien, Europa – waren angereist, um die weltbesten Jungbäcker zu ermitteln. Keiner der Teilnehmer über 25, so verlangt es das Reglement. Daneben ist in dem 18-seitigen Papier festgelegt, welche Backwaren zu produzieren sind – Brot, Brötchen, Blätterteiggebäck und natürlich das Schaustück – welche Zeit und mit welchem Gerät.
Die insgesamt neun Bäckerinnen und sieben Bäcker hatten sich bei nationalen Meisterschaften für das Weltchampionat qualifiziert – Deutschland zum Beispiel wurde von der 24-jährigen Bäckermeisterin Susanna Rupp aus Neu-Ulm und der Bäckergesellin Tina Reicherter aus Reutlingen vertreten.
Gecoacht übrigens wurde das deutsche Team von Bäckermeister Dominic Reuter aus Rotenburg (Wümme) und von Lisa Sophie Schultz, die 2021 in Lyon den Weltmeister-Titel gewonnen hatte und der wir Jahre zuvor schon einmal begegnet sind.
Ein Wiedersehen mit Lisa Sophie Schulz
Hallo Lisa, wir kennen uns doch…
Natürlich, Sie haben mich während meiner Lehre bei Christa Lutum in Charlottenburg interviewt und dann über den Bäckerberuf geschrieben und weshalb er so wenig Achtung in der Gesellschaft genießt.
Wie lange ist das her?
Ich meine vier Jahre, ich war gerade mit dem Abi fertig und demnach im ersten Ausbildungsjahr.
Genau, Sie haben mir danach erzählt, dass Sie, als Sie sich für eine Bäckerlehre entschieden hatten, von Freunden gefragt wurden ob Sie mit Gewalt verblöden wollten.
Wie Sie sehen, bin ich es nicht. Und ich sage es heute wieder und mit noch größerer Überzeugung: Bäcker ist ein abwechslungsreicher und unfassbar kreativer Beruf, man muss viele Prozesse gleichzeitig auf dem Schirm haben und braucht jede Menge wissen.
Wie man hier beobachten kann. Danke und viel Erfolg für Ihr Team!
Teamarbeit die sich sehen lässt
Das deutsche Duo ist ein bestens eingespieltes Team, das merkten auch die Konkurrenten aus den anderen Ländern schnell. Tina Maria Reicherter und Susanna Rupp arbeiteten konzentriert und bei nahe wortlos, vermieden überflüssige Handgriffe und weite Wege – alles bei den beiden Bäckerinnen lief nach einem offenbar vorher genau ausgetüfteltem Plan.
„Kein Wunder, die haben ja auch wochenlang wirklich hart trainiert“, erzählte Kerstin Reicherter, „sowohl an der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim als auch am heimischen Herd.“ Die Mutter der späteren Weltmeisterin war mit einem kleinen Fanclub eigens aus Reutlingen nach Berlin gekommen, um ihre Tochter zumindest moralisch zu unterstützen. Doch die hatte während des Wettkampfes keinen Blick für ihre Freunde, Tina Maria Reicherter war „im Tunnel“, lediglich das permanente Blitzen einiger Fotografen kommentierte sie mit einem kategorischen „Licht aus!“
Jungbäcker aus aller Welt
Auch Judy Koh, Trainerin der Mannschaft aus Singapur und Mitglied der internationalen Jury, hat das deutsche Team lange beobachtet. Das Urteil der Meisterbäckerin und Gründerin der Kulinarischen Akademie des Stadtstaates in Südostasien war schnell klar: „Die beiden deutschen Bäckerinnen sind bei dieser 50. Weltmeisterschaft die Favoritinnen, ihnen am nächsten kommen wahrscheinlich die Französinnen, und die beiden Jungs aus Island finde ich auch ganz gut.“ Und welche Chancen geben Sie Ihrem Team, Frau Koh? „Ich bin realistisch, gegen diese Backprofis haben wir keine Chance. Allerdings sind Sarah Tan und Jessica Lee mit ihren 15 bzw. 17 Jahren auch noch sehr jung. Sie konnten hier viele Erfahrungen sammeln und werden vielleicht in vier, fünf Jahren dann auch mal auf dem Podest stehen.“ So sah es auch Juror Günther Koerffer. „Erfahrungsaustausch ist allemal die billigste Investition“, sagte er.
Während die Juroren am Ende jedes Wettkampftages die Backwaren der Kontrahenten ebenso konzentriert wie wort- und (zumindest äußerlich) emotionslos unter die sprichwörtliche Lupe nahmen, schien Oliver Fettke schier aus dem Häuschen angesichts der kreativen Vielfalt. „Einfach nur geil“, murmelte er, „einfach Weltklasse.“ Darauf angesprochen, wiederholte er seine superlativen Kommentare und fügte ihnen schließlich noch die Bemerkung hinzu: „Mein Gott, so jung und schon so gut.“ Fettke ist 52, Berliner und selbst ein gestandener Bäcker. Zaungast der Weltmeisterschaften war Fettke zufällig, weil er aktuell im gleichen Haus die fünfmonatige Ausbildung zum Meister seines Handwerks absolviert. Und er nutzte diesen Zufall. „Die Croissants des Teams aus Island beispielsweise sind um Klassen besser als das, was ich bisher kennengelernt habe“, sagte er, „den Grund will ich mit Hilfe der beiden jungen Kollegen aus Reykjavik unbedingt noch herausfinden.“ Weshalb? „Wenn´s passt, mache ich meine Croissants in Zukunft genauso!“
Pokale, Medaillen und Urkunden
Apropos Zukunft. Oliver Fettke wird sich nach seiner Meisterausbildung im nächsten Jahr selbstständig machen – allerdings nicht in Berlin,
sondern über 4.000 Kilometer entfernt in Maspalomas auf der Urlaubsinsel Gran Canaria. Seine Frau ist Spanierin, er spricht die Landessprache
und weiß, dass deutsches Brot dort geschätzt wird. Und sicher auch isländische Croissants. Also dann, viel Erfolg, Maestro Fettke.
Den wünschte Christa Lutum, Obermeisterin der Bäcker-Innung Berlin, nach den beiden Wettbewerbstagen auch den Teilnehmern
dieser 50. Nachwuchs Weltmeisterschaft. Die normalerweise nicht eben zu verbalem Überschwang neigende Meisterin lobte die beeindruckende
Kreativität und die bemerkenswerte Perfektion der jungen Bäcker und, ja, sie sprach sogar von Backkunst. Bevor sie den Siegern ihre Pokale,
Medaillen und Urkunden überreichte, sagte sie: „Alle haben gewonnen, an erster Stelle unser schönes altes Handwerk!“ Eine gute Botschaft.
50th UIBC International Competition of Young Bakers 2022
1. Platz:
Team Deutschland ( Tina Reicherter | Susanna Rupp )
2. Platz:
Team Frankreich ( Julie Unterreiner | Léa Paturel )
3. Platz:
Team Schweden ( Michaela Andersten | Mattias Jogmark )
Sonderpreis der Jury:
Team Spanien ( Jesús Sánchez López | Mohammad Abdeselam Lazrak )
Sonderpreis für Newcomer:
Team Island ( Finnur Guðberg Ìvarsson | Matthias Jóhannesson )
