Piechas – Bio-Buffet in Kreuzberg

Die Markthalle am Marheinekeplatz steht schon immer im Schatten ihrer Schwester, der Markthalle Neun in der Eisenbahnstraße. International Food Area die eine, regionaler Kiezversorger die andere. Da Medienhype, dort Schwarzbild. Ulrike Piecha, Sprecherin der Marheineke-Händler, kennt diese Sicht auf die beiden Markthallen und kommentiert mit der ihr eigenen Gelassenheit: „Dort der Trend zum Eventshopping, hier zum eher ruhigen Einkauf, beides hat seine Berechtigung.“

Die 44-Jährige gehörte zu den ersten Unternehmern, die in der 1892 eröffneten, 1945 zerstörten, 1952 wieder aufgebauten und 2007 neu gestalteten Markthalle am Kreuzberger Marheinekeplatz nach deren Sanierung eine Gewerbefläche mietete und dort zwei Jahre später Piechas BioBuffet an den Start brachte. Das Bistro der „Kitchen-Queen“, inzwischen längst zur Hallen-Institution aufgestiegen, feierte in diesem Jahr seinen 15. Geburtstag. Wir sagen „Chapeau!“ und gratulieren.

Ulrike Piecha wird am 28. November 1979 in Erfurt geboren. Mutter Ärztin, Vater Diplom-Ingenieur für Verkehrskybernetik. Drei Jahre später zieht die junge Familie nach Sassnitz, einer Stadt mit Fischerei- und Fährhafen auf der Insel Rügen. Als Ulrike Piecha zehn ist, beginnt in der DDR die friedliche Revolution, das letzte Kapitel des „ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden“. Ihre Eltern engagieren sich am Runden Tisch, Ulrike versorgt sich und ihre fünfjährige Schwester Elisabeth: Pizza, Pasta, tralala. Nebeneffekt: Sie findet Gefallen an kreativer Küchenarbeit. Ein frühes Indiz für ihre spätere Berufswahl?

Abitur 1999 und der unumstößlich Entschluss, Köchin zu werden. „Zu Hause spielten sich Dramen ab“, gibt sie vor Jahren in einem Interview zu Protokoll, „doch am Ende hat mein Dickkopf gesiegt.“ Ulrike Piecha bewirbt sich bei Günter Scherrer im Düsseldorfer Victorian, drunter wollte sie es nicht. Das Restaurant gehört damals zu den besten Häusern des Landes, und Sternekoch Scherrer gilt nicht nur in der NRW-Hauptstadt als kulinarische Institution. Der Patron holt die junge Frau in seine Brigade. Als Günter Scherrer in den Ruhestand geht, folgt ihm Bobby Bräuer als Küchenchef im Victorian. Unter seiner Leitung beendet Ulrike Piecha ihre Ausbildung als eine der Jahrgangsbesten in Nordrhein-Westfalen.

Es folgen Stationen in Frankreich und Brasilien, wo sie hilft, neue Restaurants auf den Weg zu bringen. Dort hört Ulrike Piecha von einer Hochschule, die im piemontesischen Pollenzo, einem Ort rund fünfzig Kilometer südlich von Turin, eben erst den Lehrbetrieb aufgenommen hat. Sie spricht mit ihren Eltern, die ihr finanzielle Unterstützung zusagen, fliegt nach Italien und schreibt sich an der Università di Scienze Gastronomiche ein. Dreieinhalb Jahre studiert sie Gastronomische Wissenschaften, „deren Aufgabe es ist“ – so Hochschulgründer und Slow-Food-Präsident Carlo Petrini – „die Kultur der Nahrung zu erforschen“. Abschluss 2008 als Bachelor of Gastronomic Sciences.

Mit dem Pollenzo-Zeugnis in der Tasche stehen der couragierten, vielsprachigen jungen Frau viele Türen offen – die von internationalen Hotelcompanies ebenso wie die von global agierenden Lebensmittelproduzenten. Doch Ulrike Piecha entscheidet sich für einen selbstbestimmten Berufsweg, geht nach Berlin und gründet in der Marheinekehalle Piecha’s Buffet. Ihr Motto: gut, sauber, fair – und bio. Es ist die Zeit massenhafter Gastro-Gründungen, – vor allem in Kreuzberg schießen Streetfood-Läden jeglicher Couleur mit der Ankündigung aus dem Boden, Besonderes zu bieten. Bei so viel Wettbewerb erscheint auch für Ulrike Piechas Bistro die Fallhöhe hoch. Sie nimmt die Herausforderung an und setzt sich durch – per aspera ad astra.

Ulrike Piechas bistronomische Karriere begann als One-Woman-Show mit einem Tagesgericht, einem Kinderteller, einem Meat- und einem Cheeseburger, einigen Suppen und Salaten und mit ersten Kontakten zu Bio-Höfen der Region. Spaß am Kochen, gepaart mit Fantasie und handwerklichem Können sowie ihr kommunikatives Talent fügten sich zu einer Mischung, die der Bistro-Gründerin schnell ein gewisses Maß an Bekanntheit einbrachte, das jede Form von Gastronomie nun mal zum Leben braucht. So wurde auch der damalige Berlinale-Chef und Slow-Food-Deutschland-Mitgründer Dieter Kosslick auf die junge Frau aufmerksam und engagierte sie für eine Rolle beim „Kulinarischen Kino“. Sie gab, wie er es nannte, „das Scharnier zwischen Filmemachern und Köchen“ – und nichts quietschte. Mit den Jahren mauserte sich das Bistro kräftig – das Team wuchs, eine Bio-Fleischerei entstand, die kulinarischen Offerten und das Cateringgeschäft entwickelten sich.

 

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An der Spitze des Bistro-Teams stehen neben Ulrike Piecha zwei gestandene Herdarbeiter: Markus Wolf und Niklas Schindler. Wolf war früher im Borchardt, im VAU und in der Alten Schule Fürstenhagen tätig; Schindler im Fischers Fritz, im Hugos und im Cookies Cream. Das Trio pflegt seine Klassiker wie Bouletten, Burger, Curry- und Bratwurst, produziert eigene Convenience wie Fonds (die mit Abstand besten in Berlin) und Saucen, bietet hausgemachte Fertiggerichte der Extraklasse wie Königsberger Klopse und Wiener Saftgoulasch und hat auch sonst immer wieder Ideen auf der Pfanne, die Kunden anziehen und das Bistro voranbringen. Der nicht nur für uns grandioseste Coup der letzten Jahre: Piechas Rippchen-Mittwoch!

Übrigens: Ein bisschen versteckt hinter der Fleischtheke hängt eine Urkunde. Die Slow-Food-Universität im italienischen Pollenzo, so ist darauf zu lesen, verleiht Piechas Bistro den Titel „Learning Center“. Das heißt: Wer wissen will, was Bistro-Kultur ist, sollte sich auf den Weg in die Marheinekehalle machen.

piechas.com

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