Es gibt in Deutschland wohl nur wenige regionale Spezialitäten, denen so viele Kochbuchschreiber ihre Reverenz erwiesen haben und die sogar Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen waren wie – der Schwäbischen Maultaschen. Da geht es sowohl um Inhalt und Form als auch um Herkunft und Zukunft eines Objektes, das – in diesem Punkt sind sich alle Autoren einig – in bester Zubereitung zu den Sternstunden schwäbischer Traditionsküche zählt.
Amtlich bestätigt wurde das bereits 2009. Seitdem nämlich steht die Schwäbische Maultasche unter dem Schutz der Europäischen Union, hat also den gleichen Status wie etwa Schwarzwälder Schinken und darf sich mit dem blau-gelben Siegel für Produkte mit geschützter geografischer Angabe schmücken. Nun bewahrt das Siegel zwar vor Maultaschen-Nachahmungen aus Regionen außerhalb Baden-Württembergs und des bayerischen Regierungsbezirks Schwaben, nicht aber gegen – nennen wir es mal – üble Nachrede.
Oder was soll es sonst sein, wenn Fremde irgendwo in der Republik den kulinarischen Glanz des schwäbischen Küchenklassikers trüben wollen, indem sie die Maultasche als „essbare Kuriosität“ diskreditieren? Doch da gibt es, Gott sei Dank, Menschen wie Volker Klenk, die angetreten sind, damit der Königin der Schwabenküche kein Leid geschehe – weder verbal noch anderswie.
Dr. Volker Klenk
Dr. Volker Klenk, Jahrgang 1962, wuchs in der schwäbischen Kleinstadt Winnenden auf und absolvierte in Stuttgart ein Studium der Werbetechnik/Werbewirtschaft. Dem Diplom als Wirtschaftsingenieur folgten die Abschlüsse als Diplom-Journalist an der Universität Hohenheim, als Master of Science in Public Relations an der schottischen University of Stirling sowie als Magister Artium in der Fachrichtung Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, die den 1999 zum Dr. phil. promovierten Klenk 2017 auch zum Honorarprofessor berief.
Zwischen 1986 und 2003 arbeitete Klenk als Fach- und Wirtschaftsjournalist, war selbstständiger PR-Berater und übte leitende Tätigkeiten in internationalen PR-Agenturen aus. Seit 2003 ist er Gesellschafter und Vorstand der Klenk & Hoursch AG in Frankfurt am Main, einer Agentur für methodische Unternehmenskommunikation. Seine kulinarische Liebe gilt der schwäbischen Küche im Allgemeinen und der Königin dieser Küche, der Maultasche, im Besonderen.
Was halten Sie von Kalbsbriesmaultaschen mit Périgordtrüffeln und Parmesankruste, Herr Dr. Klenk?
Nichts.
Und von Wildentenmaultaschen mit Steinpilzcreme?
Wissen Sie, wenn irgendein Küchenstar der Meinung ist, ein traditionelles Gericht bemüht-spektakulär pimpen zu müssen, bitteschön, ich kann ihn nicht daran hindern. Aber dann soll er seinen Kreationen auch eigene Namen geben. Mit echten Maultaschen jedenfalls haben solche Sachen nichts zu tun.
Sondern?
Das sind eben Teigtaschen á la xy, aber keine Maultaschen, wobei ich korrekterweise sagen muss – keine Schwäbischen Maultaschen. Der Erste stopft Kalbsbries in eine Teighülle, der nächste Hummer, der Dritte probiert´s mit Schnecken, all das gehört nicht in eine Maultasche, ebenso wenig wie Kürbiskompott oder Spargelragout.
Was gehört denn hinein?
Natürlich gibt es tausende Familienrezepte, die sich aber im Grunde kaum unterscheiden. Die klassische Schwäbische Maultasche braucht Fleisch – Hack und Brät – Spinat, Weißbrot, Eier, Zwiebeln, Gewürze. Manche variieren mit Speck, Schweinebauch, Petersilie oder Lauch – je nach Region und Gusto. Entscheidend ist, die Zutaten sanft miteinander zu verkneten und so zu mischen, dass eine locker-leichte Farce entsteht, bei der sich die verschiedenen Bestandteile noch erkennen und herausschmecken lassen. Nur so kommt beim Garen eine zarte, saftige Maultasche mit optimaler Konsistenz zustande. Die wiederum ist ein extrem wichtiger Güte- und Geschmacksfaktor.
Der Teig spielt keine Rolle?
Doch, natürlich. Er besteht aus Mehl, Eiern, Salz und Wasser, muss sehr dünn sein und darf dem Messer und den Zähnen keinen Widerstand bieten. Gefärbte oder aromatisierte Teige übrigens gehören meiner Meinung nach in den Kindergarten.
Viele Vorschriften, die kein einziges Experiment zulassen, ist das nicht ziemlich trist?
Wissen Sie, was trist ist? Die Realität auf vielen Tellern ist trist, oft sogar erschütternd. Mich ärgert kolossal, wenn mittelmäßige, zum Teil unterirdische Produkte als ‚Schwäbische Maultaschen‘ verkauft oder serviert werden. Und noch etwas: Schlechte Maultaschen werden weder in Tomatensauce noch im Zitronensud oder mit Käse überbacken bessere Maultaschen.
Und für bessere Maultaschen machen Sie sich stark.
Genau. Mir liegt die schwäbische Maultaschenkultur am Herzen, wo auch immer sie gepflegt wird. Ich wende mich gegen die überregionale Kommerzialisierung von Maultaschen-Mittelmaß und will dazu beitragen, dass immer mehr Menschen gute Maultaschen erkennen und schätzen lernen.
Dafür habe ich 2014 meinen Maultaschen-Blog begründet und vor zwei Jahren den Weltmaultaschentag ins Leben gerufen, den wir Fans des urschwäbischen kulinarischen Klassikers seitdem immer am Gründonnerstag feiern. Ja, und außerdem produziere ich auch mit einer kleinen Firma selbst Maultaschen – nach einem Rezept meiner Mutter und unter dem Markennamen ‚Oma Lisbeth‘.
Das Attribut ‚maultaschenverrückt‘ müssten Sie also als Kompliment empfinden.
Durchaus. Ich propagiere die Rückbesinnung auf eine einfache, bodenständige Küche mit frischen, regionalen Zutaten.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Klenk.