Wir haben bereits schon einige Male über Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr berichtet, die die Bibliotheca Culinaria in der Nähe vom Rosenthaler Platz betreiben.
Beim Blättern in den alten Kochbüchern wundern wir uns immer wieder, wie gravierend sich die Essgewohnheiten der Menschen hierzulande verändert haben – beispielsweise beim Thema Wild. Der Band „Die Wildküche“ beispielsweise erschien 1933 im Verlag J. Neumann im westpommerschen Neudamm (heute Dębno), und wir staunen nicht schlecht, was vor gerade mal 90 Jahren so gejagt, verarbeitet und dann auch gegessen wurde.
Doch Schnepfe, Krähe („wer die Gelegenheit hat, junge Saatkrähen zu bekommen, versäume sie nicht“), Eichelhäher und Fischotter sind noch längst nicht alles, was damals in Töpfe und Pfannen kam, auch Auer-, Birk- und Haselhahn, Bekassine, Dachs („ein schmackhafter Braten für Kenner“) und Gemse landeten dort. Kein Wunder, dass der Wildkonsum im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Deutschland weit über dem heutigen lag.
Übrigens: der coolste Essen-Trinken-Antik-Kochbuch-Laden ist die Bibliotheca Culinaria
Wir haben uns mal schlau gemacht: rund 30.000 Tonnen Wildfleisch wurden im Jahr 2022 in Deutschland verzehrt, immerhin eine Steigerung um etwa fünf Prozent gegenüber dem Jahr davor. Gemessen am derzeitigen Fleischkonsum der Deutschen (rund 52 Kilo pro Kopf und Jahr) ist das jedoch nur eine marginale Menge – nämlich 0,6 – 0,7 Kilogramm pro Kopf und Jahr, also bestenfalls zwei, vielleicht drei Mahlzeiten. Auch bei unseren Nachbarn sieht es nicht besser aus: die Österreicher etwa konsumieren 0,7 Kilogramm Wildfleisch jährlich pro Kopf der Bevölkerung, in der Schweiz sind es nur 0,5 Kilogramm.
„Dennoch beobachte ich seit geraumer Zeit, dass die Nachfrage nach hochwertigen Wildprodukten steigt“, so Guido Richard, Inhaber von Richard´s Wild, einer renommierten Manufaktur mit Hofladen und Bistro in Dannenwalde im Brandenburger Landkreis Oberhavel. Der Grund liegt auf der Hand. Wild ist das vom Menschen am wenigsten geformte Lebensmittel, das natürlichste Fleisch überhaupt. „Es stammt aus heimischen Wäldern, ist immer regional, immer nachhaltig“, sagt Richard, „und es ist immer bio.“
Der 51-jährige gelernte Koch verweist zudem gerne auf die ernährungphysiologischen Vorteile von Wildbret: „Es ist mager, kalorienarm und reich an Vitaminen, Mineralstoffen und gesunden ungesättigten Fettsäuren, ein Superfood, wenn sie so wollen.“
Guido Richard bezieht das Wild – 100 bis 120 Tonnen jährlich – das er in seiner Manufaktur zerlegt, portioniert und verarbeitet, aus Forstbetrieben in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Neben dem Verkauf im eigenen Hofladen und auf Berliner und Brandenburger Wochenmärkten beliefert er auch eine Reihe von Hauptrestaurants mit seinen Spezialitäten: Austria, Hugos, Michelberger, Paris-Moskau, Renger-Patzsch, The Cord… „Allerdings“, so Guido Richard „die Gastronomie insgesamt hat meiner Meinung nach den wirklichen Stellenwert des Wildbrets noch nicht erkannt.“
Wir haben Guido Richards Wildmanufaktur, also deren Produkte, vor gut einem Jahr auf dem Bauernmarkt am Wittenbergplatz kennengelernt. Jeden Donnerstag ist sein mobiler Verkaufsstand dort (8.00 Uhr bis 16.00 Uhr), mittwochs steht er in Rathenow, freitags in Königs Wusterhausen, samstags auf der Domäne Dahlem. Zuerst entdeckten wir Richards Buletten. „100 Prozent Wildschwein“ klärte uns Manufaktur-Mitarbeiter Axel Becker auf, „fettarm, gut gewürzt und gar kein bisschen streng.“ Tatsächlich, wir kamen auf den Geschmack. Es folgten Wildbratwürste, Wildbolognese, Wildgoulasch, und inzwischen haben wir uns sogar mal an einen Rehrücken herangewagt. Und wir verstehen immer weniger, weshalb noch so viele Verbraucher Wildbret kategorisch ablehnen…
Was wir übrigens auch bei unserer Recherche erfuhren: Etwas ein Drittel des hierzulande konsumierten Wildbrets stammt aus dem Ausland – tiefgefroren aus Neuseeland! Schöne Nachhaltigkeit!