Klimawandel im Obst- und Gartenbau
Erst wochenlange Trockenheit, dann stundenlanger Starkregen – der Klimawandel lässt grüßen und macht vor allem Gemüsebauern und Obstproduzenten zunehmend Sorgen. Aber auch für Hobbygärtner ist er eine riesige Herausforderung. „Durch die Wetterextreme verändern sich unsere Gärten seit einigen Jahren spürbar.“, bestätigt die Landschaftsarchitektin Petra Pelz. Für die Bundesgartenschau 2021 in Erfurt gestaltet sie deshalb einen Klimawandel-Schaugarten. Außerdem bietet sie Online-Kurse zum Thema an. Hier erfährt man zum Beispiel, dass eine Reihe alter Gemüse- und Obstsorten mit außergewöhnlichen Wetterereignissen besser klarkommt, weil sie klimawandelfester sind als hochgezüchtete neue Sorten. Ein Beispiel ist der Spilling.
Der Spilling – eine alte Pflaumensorte
Beim Spilling handelt es sich um eine Pflaumensorte, die noch vor 100 Jahren in Deutschland weit verbreitet war. Dann aber verschwand sie zunehmend aus der Landschaft – trotz des intensiven Aromas ihrer mal gelben, mal rot-gelben Früchte. Wie so oft bei alten Obstsorten war auch der Spilling für den industriellen Anbau ungeeignet. Ob mein Nachbar, ein Mann mit erheblicher gärtnerischer Kompetenz, auch den geschmacklichen Wert des Spillings kannte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall pflanzte er vor rund zehn Jahren ein winziges Exemplar des Steinobstgewächses. Es entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem stattlichen Baum und einer Zierde des Gartens, blüht bereits im zeitigen Frühjahr reich und trug zumindest im vorigen Jahr viele Früchte. Der daraus gekochte Fruchtaufstrich überzeugte selbst Marmeladenmuffel wie mich.
Eine Sache für Spezialisten
Wenn es um alte Sorten geht, um historische Obst- oder Gemüseraritäten, ist Georg Rixmann ein viel gefragter Spezialist. Seit 1996 betreibt der 65-jährige gelernte Gärtner gemeinsam mit seiner Partnerin Sabine Schwalm im Storchendorf Linum einen 28-Hektar-Hof. Vor allem mit dem Anbau von 150 Kürbissorten macht er von sich reden. Doch das ist längst nicht alles. Bei einem Besuch auf seinem Anwesen zeigt er uns stolz die neuesten Errungenschaften Rixmannscher Sortenerhaltung. Dazu gehören die aus Westfrankreich stammende Guerande, hierzulande Ochsenherzkarotte genannt, die Albina Vereduna, eine schon den alten Griechen bekannte weißfleischige Rübe sowie viele alte und inzwischen seltene Apfel-, Birnen- und Tomatensorten.
Leckerer Brotaufstrich
Als wir auf unser eigentliches Thema kommen, den Spilling, holt Rixmann einige Gläser aus dem Marmeladen-Regal in seinem Hofladen: „Spillinge kann ich Euch jetzt nur in dieser Form bieten.“ Sabine Schwalm hat aus der diesjährigen Ernte rund 70 Gläser eines klassisch-guten Aufstrichs gekocht, wie man ihn sich für das Frühstücksbrötchen nur wünschen kann. „Wahrscheinlich handelt es sich bei unseren Spillingsbäumen, die lange unerkannt an einem Feldrand wuchsen, um eine Wildform des Gubener Spillings“, mutmaßt Georg Rixmann. „Der intensiv-fruchtige, beinahe parfümartige Duft und der unglaublich delikate Geschmack der Früchte, so Rixmann, ließen diesen Schluss jedenfalls zu.
Buchtipp
Rixmann zeigt uns ein gerade erschienenes Buch: Die alten Obstsorten – Geschichten, Rezepte und Anbautipps. „Wirklich spannend“, sagt er noch – als präsentiere er einen Kriminalroman. Autorin des 192-seitigen Bandes ist Sofia Blind. Die 56-jährige Literaturübersetzerin und Hobbygärtnerin lebt im pfälzischen Landstuhl inmitten eines 10.000 Quadratmeter großen Gartens. Dessen größter Teil ist eine Streuobstwiese. Hier finden sich über dreißig Hochstämme alter Sorten, Champagner-Renette etwa, Schöner aus Bath, oder Große Grüne Reneklode.
Lesenswerte Sorten-Portraits
Das mag für Sofia Blind wohl auch den Ausschlag gegeben haben, sich ein Jahr lang intensiv mit dieser Materie zu beschäftigen und dieses Buch zu schreiben. Dieses ist nicht nur wunderbar lesenswert, sondern auch opulent und schön gemacht ist. In sieben Kapitel übersichtlich gegliedert – Äpfel, Aprikosen und Pfirsiche, Beeren, Birnen, Kirschen, Pflaumen, seltene Obstarten – porträtiert die Autorin 54 seltene Sorten. 113 weitere werden mit kurzen Beschreibungen benannt. Dennoch ergibt das Ganze, wie sie sagt, „nur ein Best-of einer beinahe uferlosen Materie“.
Eigenes Kapitel über den Spilling
Die aus historischen Quellen gespeiste Datenbank alter Obstsorten des Bundes für Umwelt und Naturschutz ist ein Beleg für diese Aussage. Sie umfasst derzeit beispielsweise 1.424 Apfel-, 1.016 Birnen-, 324 Kirschen- und 251 Pflaumensorten. Zu letzterer Kategorie gehört auch der Spilling, dem Sofia Blind ein eigenes Kapitel widmet. „Die sogenannten ‚Primitivpflaumen‘, zu denen der Spilling gehört“, schreibt sie dort, „sind für naturnahe Gärten und Streuobstwiesen ideal: aromastark, robust und seit Jahrhunderten an die lokalen Klimabedingungen angepasst.“
Die alten Obstsorten
Geschichte, Rezepte und Anbautipps
Von Ananasrenette bis Zitronenbirne
192 Seiten, 55 farbige Abbildungen
Autorin: Sofia Blind
Verlag: DUMONT
ISBN 978-3-8321-9988-3
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