Horst Siegeris – der letzte Mohikaner
Wir fahren nach Glindow im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Das 3.600-Einwohner-Dorf, seit der Brandenburger Gemeindegebietsreform von 2001 ein Ortsteil von Werder (Havel), bietet Landschaft im Überfluss, eine sehenswerte Dorfkirche und ein interessantes Museum, das die Geschichte der Glindower Ziegelproduktion in den vergangenen rund 500 Jahren dokumentiert. Hier, zwischen Glindower See und Glindower Alpen, einem Naturschutzgebiet, das einst als Abraumhalde der Tongewinnung für die ortsansässigen Ziegeleien entstand, befindet sich das Anwesen von Horst Siegeris.
Erster Eindruck: ein Bilderbuchbetrieb. Akkurat angelegte Salat- und Kräuterbeete, dazwischen Kohlköpfe in Reih und Glied, Lauchzwiebeln, Mangold, Porree, Zucchini. Eine Apfelplantage, Aprikosenbäume, Birnen – alle sorgfältig in Form gebracht. Horst Siegeris ist auch ein Meister des Baumschnitts. Der 70-Jährige weist in verschiedene Richtungen. „Knapp fünf Hektar sind das, die wir bewirtschaften“, sagt er und fügt hinzu, dass es zur Wendezeit hier noch 13 kleine Gartenbaubetriebe gegeben habe. „Inzwischen bin ich der letzte der Mohikaner.“
Bestens bestellt sind nicht nur die Beete und Felder von Horst Siegeris, sondern auch seine Gewächshäuser. „Meine Schatzkammern“ nennt er die folienbespannten Stahlkonstruktionen zuweilen. Hier wachsen seine Tomaten, in diesem Jahr waren es rund 50 Sorten. „Frühling und Sommer sind zwar seit vielen Jahren hierzulande klimatische Wundertüten, aber diese Folienhäuser trotzen den Launen der Natur“, sagt der erfahrene Gärtnermeister. Im Frühjahr beispielsweise sorgen schon wenige Sonnenstrahlen innerhalb kurzer Zeit dafür, dass unter den Foliendächern T-Shirt-Temperaturen herrschen.
Der Blick in eins der Gewächshäuser lässt erahnen, wie viel Arbeit die Tomaten machen. Horst Siegeris zuckt mit den Schultern. „Ich lebe mit meinen Tomaten“, sagt der 70-Jährige. Auf die Frage, wie lange er noch so leben wolle, wird der sonst so eloquente Mann wortkarg. Schließlich ringt er sich doch eine Antwort ab: „Wenn es nach meiner Frau ginge, hätte ich schon längst damit Schluss machen müssen, aber was soll dann aus all dem werden?“ Er stellt uns seinen Nachbarn Silas Franciszak vor, 33 Jahre alt und gelernter Landwirt. „Er wäre ein guter Nachfolger.“
Tomaten: Vielfalt bewahren in Zeiten der Massenproduktion
Die Tomaten-Fans vom Breslauer Platz
Wenn man davon absieht, dass auf dem Breslauer Platz ein, zwei Obst- und Gemüsehändler das ganze Jahr über Tomaten anbieten – je nach Jahreszeit Importe aus Holland, Spanien oder Südamerika – beginnt die Tomatenzeit hier erst im späten Frühjahr. Dann nämlich, wenn Horst Siegeris die ersten Tomatensetzlinge an den Start bringt. In diesem Jahr war es der zweite Samstag im Mai.
Der temperamentvolle Gärtnermeister informiert über die Anzucht der Tomatenpflanzen. „Wichtiger als die Größe ist beim Setzling die Stärke des Stämmchens.“ Er gibt Tipps für das Auspflanzen. „Pflanzt eure Tomaten vor Regen geschützt und gegen die Morgensonne ausgerichtet an einen sonnigen Platz.“
„Wie viele Sorten haben sie heute dabei?“, will ein junger Mann wissen. „Die zwanzig besten von den 8.000 Sorten, die es auf der Welt gibt“, grinst Horst Siegeris und beginnt eine Aufzählung, bei der er nicht mit superlativen Attributen spart: „Die wunderbare Berner Rose, die ausgezeichnete Green Zebra, die hervorragende Harzfeuer, die erstklassige Ochsenherz, einmal rot, einmal gelb, die supersüße Carotina, die feine Hortelao, die beste Tomate, die ich jemals angebaut habe…“
Die meisten seiner Kunden spricht er mit ihrem Vornamen an: „Hallo, Ferdinand!“, „Grüß dich, Franziska!“, einige mit ihrem Titel: „Was soll’s denn heute sein, Frau Doktor?“ Die so Titulierte ist tatsächlich eine promovierte Politikwissenschaftlerin und sucht ein bisschen Proviant für eine Auslandsdienstreise. „Ich mach’ dir ’ne bunte Tüte“, so Siegeris, „da schmeckste die halbe Welt.“
Wir jedenfalls lassen die äußerlich makellose Cherryrispe im Supermarkt um die Ecke links liegen und ziehen zu Menschen wie Horst Siegeris, die sich noch die Mühe machen, geschmacksstarke Sorten anzubauen…
Horst Siegeris Obst- und Gemüsehandel
Erzeugung in Glindow
Marktstand Breslauer Platz Berlin
Wer noch mehr über den Tomatenkönig lesen möchte, hier der komplette Beitrag: www.garcon24.de/garcon-magazin-67