Sonntags im Café Baier

Zu Gast in einer Steglitzer Institution

Der Begriff „Institution“ steht für eine stabile, auf Dauer angelegte Einrichtung, in der wohlgeordnete Handlungsabläufe herrschen. Das klingt zwar ziemlich spröde, beschreibt aber ganz und gar zutreffend, was das Café Baier ausmacht. Es ist ein Kaffeehaus mit solider Basis im wirklichen wie im übertragenen Sinn.
Das Café hat sein Domizil im ersten Stock eines der prächtigsten Jugendstilhäuser in der an solchen Gebäuden nicht eben armen Steglitzer Schloßstraße. Das Ambiente der vier Salons folgt dem ciceroschen „variatio delectat“, allerdings ist die „ergötzende Buntheit“ hier kein Flohmarktmix, sondern eine wohl kalkulierte und bestens arrangierte Sammlung von Kunst und Antiquitäten.

Zu den einnehmenden Äußerlichkeiten kommen die inneren Werte

Seit Annette Baier, Inhaberin und Namensgeberin des Kaffeehauses, vor zehn Jahren das damalige Le Café übernahm, überlässt die Gastronomin nichts dem Zufall. Das Ergebnis: ein wirtschaftlich kerngesundes Unternehmen, sichere Arbeitsplätze, pünktliche Lohnzahlungen und ein proppenvolles Reservierungsbuch. Wenn Andere radikal Konzepte änderten, weil sie meinten, der Zeitgeist verlange es, feilte Annette Baier behutsam. Dutzende Stammgäste honorieren die Kontinuität, loben die süßen Offerten, die unaufgeregte Regionalküche, den unverkrampften Service. „Das Café Baier, so beständig wie gut“, ein Satz, den wir häufig hörten. Eine Institution eben.

Annette Baier

An diesem Sonntagmorgen ist Michelle Klinkenberg die „diensthabende Konditorin“. Die 27-Jährige stammt aus dem unterfränkischen Schweinfurt, lernte ihr Handwerk in einer Meißner Traditionskonditorei und kam 2020 nach Berlin. Hier arbeitete sie in der Patisserie des Grand Hyatt Hotels, bei Miss Cupcake in Weißensee und wechselte im Dezember 2023 ins Café Baier.

Ihr Arbeitstag beginnt mit kalkulierter Routine. Zuerst kommen die Buchteln – eine aus der böhmischen Küche stammende, süße gebackene Mehlspeise und eine Art Markenzeichen des Cafés – in den Garraum, eine halbe Stunde später die Croissants, zum Schluss die Brezeln. Dann widmet sie sich den Crumbles, im Grunde genommen ein dünner Mürbeteig mit Obst und Streuseln und ebenfalls ein signature cake. „Wir backen fünf verschiedene Sorten“, sagt sie, „und ich staune immer wieder, wie schnell die Bleche leer sind.“

Michelle Klinkenberg

Start in den Tag

In der Konditorei des Café Baier brennt morgens um sechs Uhr schon Licht. Die deckenhoch gefliesten Räume in den Kellerkatakomben des denkmalgeschützten Hauses am Zusammenfluss von Schloß- und Zimmermannstraße sind der Arbeitsplatz von Olga Huz, Viet An Le und Michelle Klinkenberg. Hier backen sie täglich Brezeln und Buchteln, Cakes und Crumbles, Tartes und Torten, Klassisches und Trendiges. „Wir setzen auf Vielfalt“, hatte uns Inhaberin Annette Baier schon bei unserem ersten Besuch gesagt, und das scheint der richtige Weg zu sein. Mit Konditoreiwaren verhält es sich wohl ähnlich wie mit klassischer Musik: Ältere Stammgäste wollen keine Experimente, die jüngere, neugierigere Klientel schreckt auch vor Geschmacksnoten wie Ingwer oder Zitronengras nicht zurück.
Aktuell zählen zuckerreduzierte, vegane und glutenfreie Konditoreiprodukte zum Must-have eines Kaffeehauses, dem die Wünsche seiner Gäste wichtig sind. „Natürlich tragen wir dem Zeitgeist Rechnung“, so Michelle Klinkenberg, „nicht ausschließlich, aber auch nicht versteckt.“

Das stilvolle Refugium mit seinen vier Salons und der lauschigen Terrasse ist gerichtet, die Tische sind gedeckt, die Tortenvitrinen bestückt, die gigantische Kaffeemaschine signalisiert Betriebsbereitschaft. Frische Buchteln und Croissants verbreiten ihren unwiderstehlichen Duft, der sich mit dem eines guten Dutzends opulenter Sträuße mischt, die von der blumenliebenden Inhaberin Annette Baier arrangiert und blickfangend drapiert wurden.

Punkt zehn beginnt der Sturm – nicht auf das Küchenbuffet, sondern zuerst auf den Zeitungsständer. Süddeutsche, FAS und Tagesspiegel sind zuerst weg, was einige Rückschlüsse auf die Provenienz der Gäste zulässt.

Ab zwölf Uhr ist Lunch-Time im Café Baier

Dann hat es sich natürlich noch nicht ausgefrühstückt, aber Gäste, denen es mittags zu spät ist für Croissants, Omeletts, Pancakes und Co. können jetzt – ganz und gar kaffeehausuntypisch – auch Lammkoteletts mit Kartoffeln, Bohnen und Minzsauce oder Zanderfilet mit Kartoffelpüree und Salat, ein Gemüse-Pilz-Gratin mit Kräuterbaguette und sogar ein respektables Porterhouse-Steak von über einem Kilo Rohgewicht mit extra großen Fritten ordern.

Eine Offerte, die ankommt, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt und die Köchinnen und Köche keine manirierten Künstlerteller anrichten, sondern blitzsauber gekochte Gerichte servieren, die Fisch- und Fleischesser ebenso zufrieden stellen wie Vegetarier.
„Am Anfang gab es schon einige Beckmesser, die meinten, Kohlrouladen und Königsberger Klopse gehörten ins Gast- und nicht ins Kaffeehaus“, so Annette Baier, „aber die sind schnell wieder verstummt.“

Schloßstraße 26
12163 Berlin

Unseren vollständigen Beitrag findet ihr in der Garçon Ausgabe Nr. 66

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