Yoshizumi Nagaya ist ein Küchenchef, der seinen heimischen Herd in Düsseldorf nur selten verlässt. Wenn er es dann doch mal tut, muss es dafür schon einen sehr triftigen Grund geben. Und den gab es in diesem Jahr – sogar dreimal. In Berlin, Hamburg und München präsentierte Nagaya gemeinsam mit Kollegen im Auftrag der Japan Farmed Fish Export Association (JFFEA) Produkte aus japanischen Aquakulturen. Konkret: die Rote Meerbrasse und die Japanische Gelbschwanzmakrele, im Land der aufgehenden Sonne Buri und Madai genannt und als Speisefische sowohl roh als auch gegrillt oder gedünstet äußerst beliebt.
Japan Farmed Fish Export Association
Beide Arten gibt es aus Wildfängen und aus Aquakulturen, die in Japan eine lange Tradition haben. Während sich in Europa die kommerzielle Fischzucht erst in den 1990ern richtig etablierte, existiert sie im fernöstlichen Inselstaat schon seit fast 100 Jahren. Der Grund liegt auf der Hand: Der Fischkonsum in Japan ist seit jeher außerordentlich hoch – derzeit liegt er bei rund 57 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 14 Kilogramm. Trotz des großen Bedarfs wachsen in den japanischen Aquakulturen inzwischen aber mehr Fische heran, als der dortige Markt benötigt.
Deshalb gründeten 40 Unternehmen der Branche 2022 die Japan Farmed Fish Export Association. „Ziel unseres Verbandes ist es“, so dessen Marketing-Chefin Ei Kiuchi, „vor allem Gelbschwanzmakrelen und Meerbrassen verstärkt auch nach Europa zu exportieren.“
Dafür preist die JFFEA-Managerin die Nachhaltigkeit der japanischen Fischzuchten, weist auf die weitestgehend artgerechten Bedingungen, die vergleichsweise geringen Besatzdichten der Anlagen und den Verzicht beispielsweise auf Wachstumshormone und Insektizide zur Parasitenbekämpfung hin.
„Das alles beeinflusst den Geschmack der Fische natürlich positiv“, fügt Ei Kiuchi hinzu und lädt zu Kostproben ein, die Yoshizumi Nagaya und seine Kollegen zubereitet haben: Sushi und Sashimi von der Gelbschwanzmakrele, japanisches Ceviche von der Roten Meerbrasse, Buri-Schinken, Madai-Labskaus …
Das Urteil der Fachleute in Berlin, Hamburg und München – zumeist Gastronomen und Händler – spricht für die Nippon-Exporte. Markus Zierer, Chefkoch beim FC Bayern beispielsweise, brachte es mit einem einzigen Wort auf den Punkt. „Hammerprodukte“ nannte er die Spezialitäten aus Fernost.
Zugegeben, ein bisschen provokant war die Frage schon. Wir wollten von Yoshizumi Nagaya wissen, ob er Gelbschwanzmakrelen und Meerbrassen aus japanischen Aquakulturen auch in seiner Düsseldorfer Restaurantküche verarbeite oder hier nur vor einen Promo-Karren gespannt wurde. Nagaya lächelte sein feines Lächeln und bejahte den ersten Teil unserer Frage. Den zweiten Teil ignorierte er. Stattdessen lud er uns ein, ihn in Düsseldorf zu besuchen.
„Little Tokyo“ und das Restaurant Nagaya
Einige Wochen später machten wir uns auf den Weg in die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg für Japaner die Nummer eins in Deutschland wurde. 1954 trug sich das Handelshaus Mitsubishi in das örtliche Handelsregister ein, drei Jahre später folgten Okura & Co. und die Bank of Tokyo. Heute sind über 400 japanische Firmen in Düsseldorf ansässig, darunter Branchenriesen wie Fujifilm, Shiseido, Toshiba und Kikkoman.
Am japanischsten ist die Stadt in „Little Tokyo“, dem Quartier zwischen Hauptbahnhof und Königsallee. In der Immermann- und der parallel verlaufenden Klosterstraße gibt es beste Adressen für Nippon-Lifestyle: die Buchhandlung „Takagi Books & More“, das Haushaltswarengeschäft „Kyoto by Japan Art Deco“, Manga-Stores, Reisebüros, dazu Sushi- und Ramen-Bars, Izakayas und Restaurants – seit 2022 hat das Viertel sogar japanische Straßenschilder. In „Little Tokyo“ befinden sich auch die beiden Einkehrstätten von Yoshizumi Nagaya – das Yoshi und das Nagaya.
Während sich das 2003 eröffnete Stammhaus einem Küchenstil widmet, der die produktfokussierte Hochküche Japans mit der von Frankreich geprägten mitteleuropäischen Kochkultur verbindet, wird im Yoshi, das 2016 an den Start ging, die Idee des aus der buddhistischen Teezeremonie hervorgegangenen und zur ästhetischen Perfektion verfeinerten Rituals des Kaiseki-Menüs zelebriert.
Einblicke in das Restaurant Nagaya und seine Küche
Yoshizumi Nagaya, den Freunde und Stammgäste meist „Joschi“ nennen, empfängt uns in seinem Hauptrestaurant in der Klosterstraße. Der Mittagsservice ist gelaufen, er nimmt sich Zeit und lässt uns Zeit, Eindrücke zu sammeln.
Das Ambiente des Nagaya besticht, typisch japanisch, durch schlichte Eleganz. In den fragilen, von der Kraft der Leere erfüllten Räumen kann sich der Gast ganz auf Yoshizumi Nagayas außergewöhnliche Fusion-Küche konzentrieren, die ihm den (inoffiziellen) Titel „Großmeister“ einbrachte und seinem Restaurant seit 14 Jahren einen Michelin-Stern beschert.
Auch in diesem Jahr beschrieb der Guide Nagayas Küche als „etwas Besonderes“, lobte deren „innovativen Stil“ und schwelgte in Superlativen, was die „Exzellenz der Produkte sowie die Präzision ihrer Zusammenführung“ betrifft. Dennoch konnten sich die Inspektoren wieder mal nicht dazu durchringen, dem besten japanischen Restaurant in Deutschland den längst verdienten zweiten Stern zuzuerkennen. Der Grund für diese Zurückhaltung bleibt das Geheimnis der Tester aus Karlsruhe.
Yoshizumi Nagaya nimmt es gelassen und lächelt – mit der Frage konfrontiert – wieder mal anstelle einer Antwort sein feines Lächeln.
Nagaya, Jahrgang 1971, stammt aus Gifu, einer 400.000-Einwohner-Stadt in der Mitte Japans, rund 50 Kilometer nordwestlich der Millionenmetropole Nagoya und nur einen Katzensprung von dem weltbekannten Schwertschmiede-Ort Seki entfernt. Nach dem Schulabschluss begann er eine Kochlehre – zuerst bei Toshiro Kandagawa in Osaka, einem Meister der traditionellen Kaiseki-Küche, später bei Takada Hassho, der in Nagayas Heimatstadt einer eher modernen Version der Japanese Cuisine anhängt.
Im Jahr 2000 kam Yoshizumi Nagaya nach Deutschland. „Es war der Wunsch meiner Frau, die ein bisschen mehr von der Welt sehen wollte“, sagt er. Die Entscheidung fiel auf Düsseldorf, weil es hier einen japanischen Kindergarten und eine japanische Schule gab. Er fand eine Küchenchef-Stelle im Restaurant Edo, das allerdings bereits ein halbes Jahr nach seinem Start dort schließen musste. Es folgte ein einjähriges Gastspiel in der Mailänder Dependance der japanischen Restaurantkette Nomu, die weltweit über 40 Lokalitäten betreibt. „Dort sammelte ich viele Erfahrungen mit europäischen Produkten und Kochtechniken“, so Nagaya, „und dort reifte auch der Entschluss, mich nach meiner Rückkehr nach Düsseldorf selbstständig zu machen.“
So kam es dann auch. 2003 eröffnete er sein eigenes Restaurant, dem er selbstbewusst seinen Namen gab – Nagaya.
Die Kathedrale der japanischen Kochkunst in Düsseldorf
Eine Einschätzung, die noch heute gilt. Sowohl die Lunch-Offerte als auch das vielgängige abendliche Omakase-Menü heben Feinschmecker auf Wolke sieben: mit besten Grundprodukten – vom originalen Kobe-Beef bis zu den hocharomatischen Matsutake-Pilzen – mit perfekter Gartechnik und ebensolcher Würzung. Keine extreme Dominanz einzelner Zutaten, nie ein übersättigender Geschmack, dafür viele kleine Highlights, einander höflich begegnende Kontraste und ein mit jedem Gang wachsendes Glück der Harmonie.
Das gilt sowohl für Yoshizumi Nagayas Sushi- und Sashimi-Kreationen (bei denen er übrigens auch Buri und Madai aus japanischen Aquakulturen verwendet) als auch für die mit einer Butter-Ponzu-Sauce servierte Ente oder seine wunderbar glasige Königskrabbe mit Hummerschaum. Selbst der mit deftiger Kritik selten geizende Food-Autor Ralf Bos nennt Nagaya „einen perfekten Koch und begnadeten Künstler“.