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Vaiani – toscanische Tradition

Der 49-jährige David Vaiani und sein jüngerer Bruder Marco, 39, stammen aus einer alteingesessenen Gastronomenfamilie.

Familiensache

Der 49-jährige David Vaiani und sein jüngerer Bruder Marco, 39, stammen aus einer alteingesessenen Gastronomenfamilie. „Für uns beide stand schon ziemlich früh fest, dass wir das weiterführen werden, was unsere Eltern begonnen haben“, sagt David Vaiani. Il frutto non cade lontano dall’albero, das Sprichwort vom Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, gibt es auch in Italien. Und so kam es dann auch. Beide Brüder stiegen ins Gastro-Geschäft ein, holten sich im Familienbetrieb das nötige Rüstzeug und reisten einmal um die Welt, um fremde Küchen und andere Konzepte kennenzulernen. „Im Prinzip sind wir Selfmade-Gastronomen“, so David Vaiani, „uns wurde das Gastro-Gen in die Wiege gelegt und wir haben es nach der Learning-by-doing-Methode weiterentwickelt.“

Cronaca della famiglia

In Forte dei Marmi spricht man heute mit Hochachtung von der Vaiani World: Fünf Restaurants und ein Landwirtschaftsbetrieb gehören inzwischen dazu. David und Marco Vaiani kramen ein Buch hervor: Talento di famiglia, geschrieben von dem bekannten toskanischen Food- und Weinjournalisten Corrado Benzio (1958–2019), die Familiengeschichte der Vaianis. Auf dem Cover eine junge Frau im schnittigen Alfa Romeo Giulia. „Unsere Mutter Nadia Viacava“, erzählt David Vaiani, „die gemeinsam mit ihrem Mann Piero Vaiani, unserem Vater, in Forte dei Marmi eine klassische Trattoria betrieb – Tre Stelle, sozusagen die Keimzelle unserer heutigen gastronomischen Unternehmung.“

Und Marco Vaiani fügt hinzu: „Unsere Eltern waren erfolgreich, weil sie gesellschaftliche und damit verbundene touristische Entwicklungen ebenso rechtzeitig sahen wie kulinarische und rasch die richtigen Entscheidungen trafen, gleich ob es um Restaurantstandorte oder Küchenstile ging. Wir versuchen nun, es ihnen gleichzutun.“ Der für David und Marco Vaiani dabei wichtigste Weggefährte ist Andrea Mattei.

Heimisch-Traditionell

Der 42-Jährige kam vor sechs Jahren als kulinarischer Steuermann ins Vaiani-Boot – für die Brüder sicher ein personaler Glücksfall. Matteis offizielle Funktionsbezeichnung: Executive Chef der Vaiani Group. Das heißt, er ist verantwortlich für die Beschaffung der Produkte und deren Veredlung in allen fünf Restaurants der Gruppe, also für alles, was dort auf die Teller kommt. Mattei, gebürtiger Toskaner aus Pietrasanta, absolvierte die Hotelfachschule in Massa; Wanderjahre führten den jungen Koch u. a. nach Imola in das 2-Sterne-Restaurant San Domenico zu Valentino Marcattilii, nach Florenz in die dreifach besternte Enoteca Pinchiorri von Annie Féolde und nach Paris in das Hôtel Plaza Athénée und dessen 3-Sterne-Restaurant Alain Ducasse.

Als ich vor neun Jahren Andrea Mattei im Byron-Hotelrestaurant La Magnolia in Forte dei Marmi kennenlernte, war er bereits selbst Sternekoch und gerade zurück von einem mehrmonatigen Praktikum im Kopenhagener Noma. „Die Arbeit bei René Redzepi hat mich darin bestärkt, noch konsequenter auf heimische Produkte und die kulinarischen Traditionen der Toskana zu setzen“, sagte mir Andrea Mattei damals. Wie man mit dem regionalen Marktangebot, einer gewisser Flexibilität und ungebremster Fantasie immer ein volles Haus hat, das zeigen Mattei und seine Mannschaft im Restaurant Bistrot.

Ein Stern an der See

Das 1990 von David und Marco Vaianis Vater Piero eröffnete Bistrot ist das Flaggschiff der Vaiani Group und einer der wenigen gastronomischen Fixpunkte des mondänen Seebades. „Meinem Vater war es von Anfang an wichtig, jedem Gast ein Maximum an kulinarischer Freude zu verschaffen“, so David Vaiani. Und Bruder Marco ergänzt: „2011 war das dem Michelin dann endlich einen Stern wert, den wir seitdem Jahr für Jahr verteidigt haben.“ Ja, da gleicht Forte dei Marmi Sylt oder St. Moritz: Ohne diese Insigne höherer gastronomischer Weihen ist man beim Gros der illustren Gästeschar außen vor.

Wein & Fass

„Wenn man zur Hauptsaison für einen Tisch im Bistrot nicht mehr vier Wochen im Voraus reservieren muss, dann geht es Italien wirklich schlecht“, heißt es in Forte dei Marmi. Im vorigen Jahr musste man, trotz Corona. Und das wird wohl auch im Sommer 2022 nicht anders sein, selbst, wenn dann die reichen Russen nicht mehr kommen. „Dann werden wir von denen wohl keine verkaufen“, grinst Andrea Salvatori und zeigt auf zwei Magnumflaschen. Mouton Rothschild 1976 und Pétrus 1971. Der 35-Jährige ist Chefsommelier im Bistrot und damit verantwortlich für einen Weinkeller, der auf jeden Fall in der Versilia seinesgleichen sucht. Salvatori, seit 2019 Herr der Weine im Bistrot, arbeitete während seiner Wanderjahre in Sternerestaurants in Mantua, Verona und Florenz. In der Florentiner 3-Sterne-Enoteca Pinchiorri war Giorgio Pinchiorri sein Mentor, ein passionierter Weinliebhaber, in dessen Keller man Stunden mit Staunen verbringen kann.

„Dort gab es fast alles“, so der Sommelier, „fünfundvierzig aufeinander folgende Jahrgänge Mouton, weiße Burgunder von Leflaive und Ramonet, eine atemberaubende Yquem-Kollektion, das Beste von Giacosa, etliche Sassicaia … Giorgio hat mich aber auch gelehrt, unsere toskanischen Weine nicht geringzuschätzen.“ Deshalb sollte man dem Bistrot-Chefsommelier unbedingt folgen, wenn er zu den originellen Arrangements von Andrea Mattei, des Sous Chefs Luca Dal Padrone und ihrer Brigade Weine aus der Gegend zwischen Florenz und Montalcino empfiehlt.

Mundende Vielfalt

Die Bistrot-Küche zeigt sich konsequent am Puls der Zeit, sie sprüht vor Überraschungen, behält aber bei aller Kreativität immer die Toskana im Visier. Die Vielfalt der regionalen Grundprodukte – ob aus dem Meer, vom Feld oder aus dem Wald – ist ebenso verblüffend wie der Ideenreichtum, mit dem sie eingesetzt werden. Das zeigt sich beispielsweise, wenn der Oktopus mit einer Creme aus geröstetem Dinkel kombiniert wird, ein Carpaccio von der Gelbschwanzmakrele mit Heckenrosenblüten und einem Pinienextrakt eine erstaunliche geschmackliche Richtung erhält oder einem gebratenen Wolfsbarschfilet marinierte grüne Erdbeeren zur Seite gestellt werden.

Japan trifft Toscana

1994 eröffnete die Vaiani-Familie – nur einen Katzensprung von ihrem Bistro entfernt – die Osteria del Mare, in der Küchenchef Emiliano Stagi und seine Brigade vor allem toskanische Fischküche der verfeinerten Art anbieten – wir werden in einem anderen Zusammenhang darüber berichten. 1997 dann brachten die Vaianis das Fratellini’s an den Start, ebenfalls in der Viale Franceschi. Der Sushi-Boom war inzwischen auch in der Toscana angekommen, dutzende Sushi-Bars entstanden, bar jeder Gemütlichkeit, bar jeden Platzkomforts. Vater Piero Vaiani und Sohn David entschieden sich gegen die pure Funktionalität und lagen damit richtig. Heute serviert das italienisch-japanische Fratellini’s-Team nicht mehr nur Sushi-Variationen, sondern praktiziert eine japanisch geprägte Fusionsküche, die vom witzigen Anti-Junkfood-Snack bis zum aufwändigen Fritto-misto-Gericht reicht. wwwthefratellinis.com

Fischhütte

2015 eröffnet, sind die Pesce Baracca – zu deutsch Fischhütte – und auf deren Dach die Pesce Terrazza die jüngsten Errungenschaften der Vaiani World und – zumindest für mich – die sympathischsten, unschnöselhaftesten, familien- und kinderfreundlichsten. Die Pesce Baracca liegt, ebenso wie die übrigen Einkehrstätten von Marco und David Vaiani auch, an der schnurgeraden Küstenstraße Viale Franceschi und ist ein feiner Allzeittreffpunkt und ein wirklich heißer Tipp für Menschen, die jegliches Meeresgetier anderen Genüssen vorziehen. In der Fischtheke glänzen Goldbrassen neben Wolfsbarschen, Knurrhähne neben Seeaalen, es gibt Lotte, Merlan und Tuna, Sardinen und Sardellen, diverse Austern- und ein halbes Dutzend Muschelsorten sowie ebenso viele verschiedene Krustentiere.

Nostalgische Abende

Ichthyologisch vorbelastete Zeitgenossen staunen, dass hier sogar dann und wann die seltenen Softshell Crabs angeboten werden – Krabben ohne Exoskelett gewissermaßen, die gerade beim Umziehen erwischt wurden. Das alles kann man kaufen, nach Hause tragen und selbst zubereiten – oder man vertraut sich Küchenchef Lleschi Erjion und seinem Team an – womit man bestens beraten ist. Übrigens: Das Pesce Baracca-Konzept „Mercato e Cucina“ funktioniert nicht nur in Forte dei Marmi bestens – der Fish Klub Berlin lässt grüßen.  Auf dem Dach der Fischhütte könnte man locker den ganzen Tag vertrödeln, aber die Pesce Terrazza öffnet erst um 18 Uhr, pünktlich zur Apéro-Zeit.

Dann sind die Logenplätze, also die mit Meerblick, schnell besetzt. Bei einem Glas Prosecco, einem heimischen Craft Beer, einem Cocktail oder einem der Softdrinks, von deren exotischer Existenz hierzulande oft nur insidrige Insider wissen, warten nun alle, dass bei Forte die rote Sonne im Meer versinkt. Und wenn es dann so weit ist, hört man schon mal einen leisen Seufzer: „Toscana mia.“

Eigenes Eden

Die letzte Station dieser Reise durch die Vaiani World führt ins rund 30 Kilometer entfernte San Quirico di Moriano, ein verträumtes Dörfchen nördlich der Provinzhauptstadt Lucca. Selbst in der Hochsaison verirren sich nicht mal eingefleischte Toskanafraktionäre in diese Bilderbuchlandschaft, wahrscheinlich weil sie nicht ganz so bilderbuchig ist wie im Chianti – aber schön genug allemal, um ins Schwärmen zu geraten. Am Ortsrand erstreckt sich auf viereinhalb Hektar die Fattoria Vaiani, ein bäuerliches Anwesen, für das die Bezeichnung „Garten Eden“ durchaus angemessen erscheint. Andrea Simonetti, 28, gelernter Gärtner und hier der „direttore“ führt uns durch sein grünes Reich.

Neben Bohnen wachsen Auberginen in verschiedenen Farben und Formen, Artischocken, Gurken, Paprika, diverse Tomaten- und Zucchinisorten. „Außerdem bauen wir Palmkohl, Porree und Topinambur an“, so Simonetti, „insgesamt drei Hektar Gemüse.“ Auf weiteren anderthalb Hektar stehen Olivenbäume, aus deren Früchten sie Öl pressen. „Genug für unsere Restaurants“, bemerkt der 28-Jährige noch. Wir folgen ihm in eins der beiden 50, 60 Meter langen Gewächshäuser: Gewürz- und Wildkräuter, soweit das Auge reicht. „Über dreißig verschiedene Sorten“, sagt Simonetti und man sieht ihm an, wie stolz er darauf ist.

Apfelminze, Bergminze, Kaiserminze, Schokoladenminze, Zitronenbasilikum, Zitronenmelisse, Zitronenthymian, Oregano, Portulak, Echter und Wilder Majoran, an einer Ecke wild rankende Kapuzinerkresse, an der anderen Kapernsträucher mit ihren filigranen Blüten. „Der Anbau richtet sich nach dem Bedarf in unseren Restaurants“, ergänzt Vaiani-Küchendirektor Andrea Mattei, der uns begleitet hat. Er weist auf eine große Wiese: „Hier werden wir Perlhühner halten.“ Und auf ein noch im Bau befindliches Haus: „Und dort Marmelade und Pesto produzieren. Total regional.“

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